Zweiklassenmedizin auch bei Kindern

Auch bei Kindern gibt es eine Zweiklassenmedizin. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte meint, dass diese besonders die armen Kinder trifft.

Berlin. Die Zweiklassenmedizin macht auch vor Kindern nicht halt: Während Privatversicherte ab dem vollendeten zweiten bis zum 14. Lebensjahr einen Anspruch auf jährliche Vorsorgeuntersuchungen haben, besteht bei gesetzlich versicherten Kindern im dritten Lebensjahr sowie im Alter zwischen sechs und elf Jahren keinerlei Anspruch. Dadurch seien besonders soziale Randgruppen benachteiligt, klagt der Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Wolfram Hartmann. Dabei würden Kinder aus ärmeren Schichten besonders häufig unter Bauch- und Kopfschmerzen sowie an Depressionen leiden. "Wir erleben das regelmäßig in unseren Praxen", erzählt Hartmann. "Kinder aus armen Familien weisen mehr frühkindliche Entwicklungsdefizite auf, brechen deshalb häufiger die Schule ab und haben eine schlechte Sozialprognose." Die Hauptursache sieht der BVKJ in der Sparpolitik der Bundesregierung. Durch eine "anhaltende Unterfinanzierung ärztlicher Leistungen" seien viele Kollegen nicht mehr bereit, sich in sozialen Brennpunkten niederzulassen, so Hartmann. Ältere Mediziner fänden dort keine Nachfolger für ihre Praxen mehr. In Teilen großer Städte wie Berlin, Hamburg oder Köln müsse man schon von einer Unterversorgung sprechen. Durch eine seit vier Jahren geltende Regelung hat sich auch die Versorgung mit Medikamenten für ärmere Bevölkerungsgruppen verschlechtert. So sind Kinder zwar weiter von allen Zuzahlungen befreit. Ab dem zwölften Lebensjahr kommen die Krankenkassen aber nur noch in Ausnahmefällen für nicht verschreibungspflichtige Medikamente auf. Arzneien, die zur ärztlichen Standardversorgung gerade bei bestimmten chronischen Erkrankungen gehörten, könnten sich ärmere Familie dadurch nicht mehr leisten. Neben einem jährlichen Kinderarmutsbericht durch die Bundesregierung fordern die Kinder- und Jugendärzte verbesserte Möglichkeiten zur Bekämpfung von Kindervernachlässigung beziehungsweise Misshandlungen. So ist es den Medizinern nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Eltern erlaubt, sich auch bei der Kindergärtnerin oder dem Lehrer über Problemkinder zu informieren. Zuwiderhandlungen wären ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht. "Dabei benötigen wir zusätzliche Informationen, um den Verdacht auf eine Vernachlässigung zu erhärten oder eben zu entkräften", erläutert Hartmann.

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