Zwischen Haselhuhn und Visa-Affäre

DÜSSELDORF. Elf Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen dreht sich das Blatt für Rot-Grün.

Spöttische Geschichten über die Grünen stehen bei der Opposition in Nordrhein-Westfalen zurzeit hoch im Kurs. Eine davon geht so: Der Bau der A1 nahe Euskirchen kommt deshalb nicht voran, weil man ein totes Haselhuhn fand - Grünen-Umweltministerin Bärbel Höhn persönlich soll es dort hin gelegt haben. Andere Erzählungen handeln von bedrohten Fischen und gefährdeten Hamsterpopulationen, für die Höhn lieber eine geplante Flughafenlandebahn oder ein Kraftwerk, oder beides opfert. Natürlich halten die Begebenheiten einer sachlichen Prüfung kaum Stand. Aber das zweifelhafte Image des Fortschritts-Verhinderers klebt den Ökos trotzdem an der Backe. "Dass die Diskussion fruchtet, ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Stimmung", klagt ein Spitzen-Grüner. Elf Wochen vor einer überaus entscheidenden Landtagswahl klingt das alarmierend, zumal auch der Bündnispartner SPD deutlich kränkelt. Die Mischung aus Massenarbeitslosigkeit, Visa-Praxis und persönlicher Verunsicherung sei "nicht zu unterschätzen", analysiert Ministerpräsident Peer Steinbrück. Das Forsa-Institut untermauert den Befund mit aktuellen Daten. Danach ist die befürchtete Wechselstimmung bereits eingetreten. Rot-Grün kommt zusammen nur noch auf 45 Prozent. CDU und FDP verzeichnen gemeinsam 49 Prozent. Zwischen Christdemokraten (42 Prozent) und Genossen (36 Prozent) klafft ein Abstand von sechs Prozent. Infratest dimap sieht den Unionsvorsprung sogar bei acht Prozent. Am Wochenende stärkte die CDU ihrem Spitzenkandidaten Jürgen Rüttgers deutlich den Rücken. Der 53-Jährige wurde auf einem Landesparteitag in Bochum mit 95,6 Prozent der Stimmen für weitere zwei Jahre zum Vorsitzenden des mitgliederstärksten Landesverbands gewählt. Kein Wunder, dass Rüttgers in diesen Tagen bester Laune ist. "Die Wahl in Schleswig-Holstein hat bei uns zu einem großen Motivationsschub geführt", strahlt der einstige Forschungsminister unter Helmut Kohl. "Die Leute sagen, jetzt können wir gewinnen". Für Rüttgers ist die Strategie klar: Der von Außenminister Fischer zu verantwortende Visa-Missbrauch soll weiter am Kochen gehalten werden. Und die traurige Tatsache, dass Nordrhein-Westfalen im Februar erstmals über eine Millionen Erwerbslose registrierte, spielt dem Steinbrück-Herausforderer natürlich auch in die Hände. Auch die Liberalen wollen die rote Bastion im bevölkerungsreichsten Flächenland der Republik schleifen. Das wird ein "Abwahl-Wahlkampf", prophezeit Spitzenkandidat Ingo Wolf. Der Chef der Landtagsfraktion gilt im Regierungslager als "Inkarnation einer Büroklammer". Wolf versteht sich als "Turbo" einer künftigen Regierung mit der CDU, der er schon "klare Koalitionsbereitschaft" signalisiert hat. Das war nicht immer so. Als Peer Steinbrück vor zwei Jahren offen auf einen Koalitionsbruch mit den Grünen zusteuerte, sahen die Liberalen gute Chancen, mit den Genossen ins Regierungsbett zu hüpfen. Schon damals waren die Grünen wegen ihrer vermeintlichen Wirtschaftsfeindlichkeit ins Gerede gekommen. Die Reizthemen hießen Steinkohle und Metrorapid. Am Ende musste sich Steinbrück dem massiven Druck des Kanzlers beugen und die Ehe mit den Grünen fortsetzen. "Wir bekommen einen klaren Lagerwahlkampf - Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb", sagt Bärbel Höhn. Und nicht einmal Jürgen Rüttgers könnte der Grünen an dieser Stelle widersprechen. Nun ist es keineswegs so, dass dem Oppositionsführer die Herzen zufliegen. Bei einer Direktwahl würde sich nur etwa jeder dritte Nordrhein-Westfale für Rüttgers entscheiden. Amtsinhaber Steinbrück steht allerdings kaum besser da. Seine Zustimmung liegt bei lediglich 39 Prozent.

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