200. Geburtstag von Georg Büchner: "Man nennt mich einen Spötter"

Drei Dramen, eine Novelle und ein politisches Pamphlet: Das schuf der Schriftsteller und Dramatiker Georg Büchner in seinem kurzen Leben. Am 17. Oktober 1813 geboren, starb er an Typhus im Alter von 23 Jahren. 200 Jahre nach seiner Geburt ist er immer noch ein Vorbild revolutionären Tatendrangs und kraftvollen Schreibens.

Im Spätsommer 1835 erreichte ein Drama eine große Dresdener Literaturzeitschrift zur Rezension. "Wer ist dieser Büchner?", fragte sich der Herausgeber. "Man nennt mich einen Spötter”, hätte der Schriftsteller Georg Büchner antworten können, wie er sich in seinen Briefen selber beschrieb. Vor sich hatte der Herausgeber das Erstlingswerk dieses Unbekannten: "Dantons Tod". Dieses Revolutionsdrama hat Büchner mit 21 Jahren geschrieben. In höchstens fünf Wochen. Nicht weil er vom schöpferischen Geist besessen war. Sondern weil er das Honorar brauchte, um aus Deutschland zu fliehen. Er musste weg, frei sein, um zu zeigen, dass die Realität zu verändern ist.
Wer ist also dieser Büchner? Wer ist dieser junge Mann, der vor 200 Jahren, am 17. Oktober 1813, zur Welt kam und in nur drei Jahren literarischer Tätigkeit eine tiefe, einschneidende Spur in der deutschen Literatur hinterließ? Büchner war Dramatiker, politischer Revolutionär, Wissenschaftler, steckbrieflich gesuchter Staatsverräter. Bis zum Alter von 23 schuf er ohne Rast, dann erlag er dem Typhus.Revolution schon in der Wiege


Büchner wurde in Goddelau bei Darmstadt geboren - während 430 Kilometer entfernt die Völkerschlacht bei Leipzig tobte. Darmstädter Truppen kämpften an der Seite Napoleons gegen die sogenannten Verbündeten. Am 18. Oktober wurde Deutschland von Napoleon befreit. Doch für Hessen begann die Unterdrückung. Noch als Kind erlebte Büchner, was es heißt, Untertan zu sein.
Und es keimte in ihm der Gedanke der Revolution. "Friede den Hütten! Krieg den Palästen”: Mit diesem Satz aus "Der hessische Landbote” (1834) wurde Büchner der erste Verfechter des ärmsten Volkes.
Der Erste, der daran glaubte, dass Literatur Missstände enthüllen und die politische Realität verändern kann - wie Brecht ein Jahrhundert später. Mit dem Landboten-Pamphlet deckte er die korrumpierte und gnadenlose Politik der hessischen Regierung auf, die das Volk verspottete. Dann wird Büchner selbst zum Spötter. Und dafür steckbrieflich gesucht, als Staatsverräter. Anhand sorgfältiger Recherche zeigt er dem Volk, dass "die Justiz die Hure der Fürsten ist” und die Verfassung "nur leeres Stroh". So wird Büchner noch einmal ein Vorreiter. Wie bei den großen Namen des Naturalismus und des Realismus basiert seine Literatur auf Dokumenten, Fakten, Fällen. Nicht zufällig: Er war auch Wissenschaftler. Sogar mit Humor konnte Büchner enthüllen. In dem Lustspiel "Leonce und Lena" (1836) entlarvt er mit wortspielreicher Ironie die Oberflächlichkeit eines Adels, der das Volk für sich arbeiten lässt und in dekadenter Langeweile lebt. Dabei kritisiert er auch die provinzielle Kleinstaaterei zur Zeit des Deutschen Bundes.Sätze, die explodieren


Dokumentarisch, enthüllend und nie trocken: So ist die Schreibart Büchners. Sein Stil besitzt die Kraft, die die besten expressionistischen Gemälde mit ihren Farben im 20. Jahrhundert ausstrahlen werden. Er packte den menschlichen Protest in in sich geschlossene, kraftvolle Szenen - dramaturgische Atome, die am Rande der Explosion sind. Ein Stakkato in Prosa, episodenhaft, das für das spätere expressionistische Theater so typisch sein wird. Vollendete Beispiele dieses Stils bieten ausgerechnet die unvollendeten Werke Büchners: die Novelle "Lenz" (1835) und das Drama "Woyzeck" (1837). Eine Hand mit gespreizten Fingern gegen den Himmel, die ihn zerquetschen will in "Lenz" oder der rote Mond, "der aufgeht, wie ein blutig Eisen" in "Woyzeck".
"Woyzeck". Jeder sollte das Büchlein aus der Schulzeit entstauben und es wieder lesen. Hier findet Büchner seinen Lieblingshelden. Ein ungebildetes, einfaches Kind des Volkes, das von einer ungerechten Gesellschaft zur Marionette gemacht und bis zum Verbrechen verführt wird. "Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?", hat sich Büchner immer gefragt. Hier perfektioniert Büchner sein theatralisches Handwerk: wenige Bilder, aber stark, symbolisch und so konkret, dass die Armut des Protagonisten in jeder Sekunde erlebbar ist. Und alles wieder mit realer Vorlage.
"Woyzeck" ist das letzte Werk von Büchner. Am 19. Februar 1837 stirbt er. Kein anderer deutscher Autor hat mit so wenigen Seiten so viel Wirkung erzielt. Keiner hat jede Zeile mit so viel Druck und Sprengkraft wie er aufgeladen. "Woyzeck" blieb ein Fragment, wie die Literatur Büchners - unvollendet aber doch perfekt, im Aufbruch aber noch nicht ausgeschöpft.

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