Aufgeschlagen - Neue Bücher

Als das Buch "Das Ende von Alice" der amerikanischen Autorin A.M. Homes 1996 in den USA erschien, löste es einen Skandal aus. Heute, 16 Jahre später, "traut" sich der Verlag Kiepenheuer & Witsch, eine Übersetzung herauszubringen. Er hätte es lieber gelassen.

Mit Mut hat das jedenfalls nichts zu tun. Der pädophile Kindermörder Chappy sitzt seit 23 Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis und trauert seiner Zeit mit der zwölfjährigen Alice, seiner "süßen Konkubine", nach. Mit Wehmut und Sehnsucht erinnert er sich an seine sexuellen Übergriffe auf minderjährige Mädchen, schildert bis in alle anatomischen Details, was er mit ihnen gemacht hat. Beziehungsweise: Nicht er schildert, sondern die Autorin. Konsequent bleibt sie in der Perspektive des Pädophilen, beschreibt seine brutalen, widerwärtigen Handlungen, seine Lust, seine ungebrochene Geilheit, seine Schwärmereien vom kindlichen Körper. Homes gibt dem Täter 100 Prozent Raum, widmet ihm die vollen 300 Seiten ihres Romans. Keine relativierenden oder zurechtrückenden Passagen. Keine Distanz. Kein Gedanke an die Gefühle der Opfer. Kaum zu ertragen und vor allem: vollkommen überflüssig, es ertragen zu müssen. Bei der Veröffentlichung 1996 rief der britische Kinderschutzbund dazu auf, das Buch zu boykottieren. Zensur gibt es bei uns zum Glück nicht. Aber einen Lesezwang auch nicht. So unnötig es ist, das Buch zu lesen, so unnötig war es, es zu schreiben und zu veröffentlichen. Weil die Opfer genau unter dieser fehlenden Distanz bis zur Grenzüberschreitung und dem Mangel an Respekt leiden - und zwar lebenslang. Ariane Arndt

A.M. Homes: Das Ende von Alice, 304 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 19,99 Euro

Meistgelesen
Neueste Artikel
Vom erwischt werden
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael BoltonVom erwischt werden
Zum Thema
Aus dem Ressort