Bürgerkrieg in der guten Stube

Anstatt einen Konflikt zu entschärfen, brechen zwei Ehepaare einen neuen vom Zaun. Da hat "Der Gott des Gemetzels" wieder zugeschlagen. Das gleichnamige zeitgenössische Stück von Yasmina Reza feierte am Theater Trier Premiere.

 Charaktere treffen aufeinander: Ehepaar Houillé (Sabine Brandauer, Paul Steinbach, links) und Annette Reille (Barbara Ullmann). TV-Foto: Friedemann Vetter

Charaktere treffen aufeinander: Ehepaar Houillé (Sabine Brandauer, Paul Steinbach, links) und Annette Reille (Barbara Ullmann). TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Ein weißer Kubus steht zu Beginn auf der Bühne. Die Wände klappen zur Seite und geben den Blick frei auf das Innenleben der sich zivilisiert nennenden westlichen Gesellschaft. Bühnenbildner Gerd Friedrich präsentiert in seinem sehr innovativen Bild zwei Ehepaare, die gerade eine juristische Formalität hinter sich gebracht haben. Bei einer Schlägerei hat Sohn Ferdinand des Ehepaars Reille (Barbara Ullmann, Tim Olrik Stöneberg) den gleichaltrigen Sohn Bruno des Ehepaars Houillé (Sabine Brandauer, Paul Steinbach) so verletzt, dass er Zahnschäden davontragen musste.

Ehepaar Reille hat gerade die Erklärung für die Versicherung unterschrieben, ein Wort ergibt das andere und man kommt gemütlich zusammen, um noch ein wenig zu plaudern. Kaffee und Kuchen werden serviert.

Gegensätzliche Charaktere treffen aufeinander. Auf der einen Seite die Houillés, sie Schriftstellerin, er Kaufmann, auf der anderen Seite die Reilles, sie Vermögensberaterin, er Pharma-Manager. Ein Öko-Intellektuellen-Paar und ein Yuppie-Paar, das in Branchen arbeitet, die spätestens seit der Bankenkrise und der Schweinegrippe-Welle bisweilen in der Kritik stehen - das sorgt für Zündstoff. Aber die Szenerie bleibt zunächst friedlich. So entdecken Michel Houillé und Alain Reille ihre gemeinsame Leidenschaft für Spiderman. Paul Steinbach und Tim Olrik Stöneberg interpretieren diese Männer-Kumpanei mit viel Freude. Alle sind heiter und vergnügt. Aber nach und nach fallen die Masken. Alain Reilles Handy klingelt immer wieder, denn er muss einen Pharmaskandal regeln - ein Medikament hat unerwünschte Nebenwirkungen. Michel Houillés Mutter ruft mehrfach an, da sie operiert werden muss - wie sich bald herausstellt, eben wegen der Nebenwirkungen des Medikaments jenes Pharmakonzerns, für den Reille arbeitet. Dessen Frau wird nach und nach schlecht. Sie übergibt sich auf einen wertvollen Kunst-Bildband, was die sonst sehr verständnisvolle Véronique Houillé sehr ärgert. Dann kommt Alkohol ins Spiel, was die unter der Fassade schwelenden Aggressionen anheizt.

Der Mensch ist eben, wenn er von seiner Zivilisations-Tünche befreit ist, ein brutales Tier. Annette Reille wirft das Handy ihres Mannes in eine Blumenvase, die betrunkene Véronique Houillé stürzt sich fortpflanzungswillig auf Alain Reille. Von der Zivilisation bleibt nichts mehr übrig: Bürgerkrieg in der guten Stube. Deshalb glaubt Pharma-Manager Alain Reille an den "Gott des Gemetzels". Die Trierer Inszenierung von Yasmina Rezas bitterböser Gesellschaftssatire sorgt mehrfach für laute Lacher im Publikum. Dennoch gelingt es Regisseurin Judith Kriebel, das Stück nicht ins Alberne hinabgleiten zu lassen. Carola Vollath, verantwortlich für die Kostüme, setzt die richtigen Akzente, um die Charaktere (Sabine Brandauer als Friedens-Verständnis-Frau im bunten Ethno-Kleid, Barbara Ullmann im engen Kostüm) zu betonen.

Zu Beginn beeindruckt besonders Tim Olrik Stöneberg aus dem Stand heraus, mit Kraft und Präsenz. Die anderen Akteure brauchen länger, um sich warm zu spielen. Sabine Brandauer steigert sich in die Rolle der Véronique hinein, Barbara Ullmann überzeugt nicht nur beim Sich-Übergeben als vernachlässigte Ehefrau. Den stets um Konflikt-Lösung bemühten Michel Houillé, der sich zudem als Hamster-Mörder outet, spielt Paul Steinbach mit bissiger Ironie. Das Publikum dankt es dem Ensemble mit langem, herzlichem Applaus.

Die nächsten Termine: 18., 22. Dezember, 2., 10., 13., 16. Januar und 5. Februar.

Extra

Das Stück "Der Gott des Gemetzels (Le Dieu du Carnage)" der französischen Autorin Yasmina Reza wurde 2006 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. Dafür erhielt die Inszenierung den Nestroy-Preis. In Frankreich war 2008 Premiere. Inzwischen wurde es auf rund 60 Bühnen inszeniert und zählt damit zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Theaterstücken.

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