Der alte Mann und die hohe See

Trier · Einmalig und eindrucksvoll: Der aus Trier stammende, weltbekannte Opernsänger Franz Grundheber überzeugt im Theater als Erlösung suchender "Holländer" in Wagners Epos. Ein gewaltiger Kraftakt, nicht nur für den fast 80-Jährigen.

Trier Sie sprangen von den Sitzen auf. Sie applaudierten heftig und ausdauernd, und in den Beifall mischten sich die Bravo-Rufe. Die galten vor allem Franz Grundheber, dem großen Gast des Abends. Selten hat das Trierer Theater einen derartigen Jubel erlebt.
Dabei war diese Vorstellung mit Wagners "Fliegendem Holländer" zum Jubiläum des Trierer Wagner-Verbands ein gewaltiger Kraftakt gewesen.
In wenigen Tagen musste das Orchester die Partitur umsetzen, musste die Lichtregie angepasst werden, mussten die Chorsätze einstudiert sein und mussten Solisten, Chor und Orchester aufeinander abgestimmt werden. Da wundert es nicht, dass das musikalische und szenische Resultat Lücken hinterließ. Unter anderen Umständen hätte man den Chor sicher nicht auf die Bühne gesetzt wie in der Sonntagsschule. Und dass eine stringente Personenführung ausblieb, dürfte kaum jemanden erstaunen.
Aber trotz aller Detailprobleme: Dieser Wagner-Abend hatte etwas von einem "großen Wurf" - so wie Wagners "Holländer" trotz aller Stilbrüche von einem geradezu explodierenden Erfindungsgeist lebt. Momme Hinrichs Lichtregie war alles andere als ein Behelf.
In ihrer Symbolstärke gab sie den Szenen Gesicht und Gewicht. Die stürmische See wird zum optischen Leitmotiv - wild, bedrohlich und dem Holländer allzu vertraut. Die Projektion ist der Rahmen für das Handlungsmotiv von Liebe und Tod, das sich für Wagner in den Jahren danach zum dramatischen Zentrum entwickeln sollte.
Mit den Protagonisten stand eine souveräne und Wagner-erfahrene Mannschaft auf der Bühne. Thorsten Grümbel singt den Daland mit weit ausladenden Kantilenen, entdeckt den Verdi in Wagner.
Cornelia Ptasseks Senta beeindruckt durch eine schlanke und höhensichere Tongebung, bleibt freilich in der Mittellage für diese Rolle allzu schmal.
Clemens Bieber und Thomas Greuel geben Erik und Steuermann nachdrücklich Statur, optisch wie akustisch. Marion Eckstein gelingt das Kunststück, der Mary Profil mitzugeben - trotz klangstarkem Chor und überbordendem Orchester. Und der Chor macht fehlende Detailgenauigkeit durch Stimmstärke wett.
Bei den Trierer Philharmonikern fehlte in klein besetzten Abschnitten die Feinzeichnung. Aber mit welcher Sicherheit gelingt dem Orchester jener charakteristische "Holländer"-Grundklang mit den fülligen Hörnern, den vielfarbigen Holzbläser-Mischungen, den wirbelnden Streichern und dem markanten schweren Blech!
Jochen Schaaf steuert Orchester, Chor und Solisten engagiert durch die klippenreiche Partitur. Es ist ein unspektakuläres Dirigat und ein undramatisches dazu. Schaaf setzt auf den epischen Zug der Oper - der Holländer, der aus seinem Bild steigt und seine Geschichte erzählt.
In den großen Szenen der Titelfigur zeichnen sich schon die ausgedehnten, erklärenden und bekennenden Monologe des mittleren und späten Wagner ab. Der Holländer wird zum Vorläufer von Tannhäuser, Wotan, Sachs, König Marke und Amfortas.
Genau da setzt Franz Grundheber an. Bei ihm ist die Figur frei von klischierter Dämonie. Es ist ein alter Mann, der da aus der Projektion heraus mühsam auf die Bühne steigt.
Ein Mann, der die Last der zahllosen Irrfahrten mit sich herumträgt, nach Erlösung sucht und am Ende gemeinsam mit Senta in den Wogen untergeht.
Es ist ein anrührendes Bild. Zeitweise klingt der Sänger, als sei seine Kraft am Ende. "Ich hatte überlegt, abzubrechen", sagte er nach der Veranstaltung.
Aber Grundheber steht die Riesenpartie durch und gibt seiner Rolle etwas Neues, Unverwechselbares mit.
In die Holländer-Figur gehen Leid und Schmerz des Amfortas ein - ein weit ausgreifender Schritt zu Wagners Spätwerk "Parsifal".
In der langjährigen Geschichte des Trierer Theaters war diese Aufführung ein großer, ein historischer Moment. Kaum wahrscheinlich, dass Vergleichbares in absehbarer Zeit wiederkehrt.

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