Kleiner Biss mit großer Wirkung

Trier · Ein gerinnungshemmendes Protein im Speichel erlaubt es Vampiren, ihre Blut-Mahlzeiten genüsslich in die Länge zu ziehen. Im UN-Jahr der Chemie nimmt der Deutschlandfunk in Kooperation mit dem Volksfreund einige Moleküle genau unter die Lupe, dieses Mal: Draculin.

 Blutrünstig und bissig, aber für den Menschen weitgehend ungefährlich: Die Vampirfledermaus. Foto: Zoologischer Garten Berlin

Blutrünstig und bissig, aber für den Menschen weitgehend ungefährlich: Die Vampirfledermaus. Foto: Zoologischer Garten Berlin

Der Fürst der Finsternis flieht das Tageslicht. Es würde ihn - halb Mensch, halb Fledermaus - umbringen. Erst des Nachts entsteigt der Unhold seiner Gruft und stillt seinen Blutdurst an bemitleidenswerten Opfern, die sich auf sein düsteres Schloss in Transsilvanien verirrt haben. Am Ende mutieren die Unglücklichen selbst zu Vampiren. Das typische Biss-Mal am Hals verrät den Wandel zum lichtscheuen Schattenwesen. Und, natürlich, die plötzlich verdächtig langen Eckzähne!

Dem sagenhaften Graf Dracula ist Rafael Apitz-Castro zwar noch nicht begegnet. Vampiren aber schon. Denn die gibt's wirklich. In Venezuela zum Beispiel, dem Heimatland des Biochemikers. Dort streifte Apitz-Castro tapfer durch dunkle Höhlen auf der Jagd nach den blutdürstigen Flattertieren, die nur in Mittelamerika vorkommen. Zwei Dutzend verdatterte Vampir-Fledermäuse nahm der furchtlose Forscher mit in sein Institut in Caracas: "Wir gründeten eine Laborkolonie, mit bis zu 25 Vampiren, und päppelten sie mit Rinderblut."

Das war Anfang der 90er Jahre. Am Ende des okkult anmutenden Experiments hatte Apitz-Castros Team den Segelohren ein Geheimnis entlockt. Der Speichel der Tiere enthält einen potenten Blutgerinnungshemmer. Dank des Eiweißmoleküls können sich Vampire gut und gerne eine Viertelstunde lang an einem schlafenden Rind oder Pferd laben, das sie zuvor mit ihren messerscharfen Schneidezähnen angeritzt haben. Das Protein verhindert, dass das Blut verklumpt. So können es die kaum bierdeckelgroßen Winzlinge mit ihrer Zunge in aller Ruhe auflecken.

Die Idee, das Protein Draculin zu nennen, hatte Coenraad Hemker, Professor für Biochemie an der Universität Maastricht in den Niederlanden und langjähriger Forschungspartner Apitz-Castros. Der Pharmaindustrie schien der Vampir-Extrakt ein verheißungsvoller Kandidat für ein Medikament zu sein, das gefährliche Blutgerinnsel im Körper auflösen kann. Doch man habe es schnell wieder fallenlassen, so Hemker: "Das Molekül enthält enorm viele Zuckerketten, und die synthetische Herstellung erwies sich als zu schwierig." Gleichwohl habe man durch Draculin viel gelernt über Detailprozesse bei der Blutgerinnung, die in einer Kaskade von Reaktionsschritten abläuft. Ganz ohne Schrecken liefen die Laborversuche damals in Caracas übrigens nicht ab. Einmal biss eine der gefangenen Fledermäuse ihren Betreuer plötzlich in den Nacken, Blut floss. Zum Vampir, das schwören die Forscher hochheilig, sei der Mann aber nicht mutiert.

Dieser Beitrag läuft am 23. Februar im Deutschlandfunk im Rahmen der Reihe "M3 - Mraseks Molekül-Mosaik", immer mittwochs um 16.35 Uhr, in der Sendung "Forschung aktuell". In der Region empfangen Sie den Deutschlandfunk auf UKW 95,4 und 104,6. Weitere Informationen im Netz unter www.dradio.de/jahrderchemie

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