Musical für Menschenmassen statt Maschinenlärm

Trier · Es wird die größte Produktion in der Geschichte des Trierer Theaters: 23 Vorstellungen mit Platz für fast 20 000 Besucher, eine Spielfläche von über 1000 Quadratmetern, 30 Solistenrollen: Die "West Side Story" in der alten Eybl-Bobinet-Fabrikhalle schlägt alle Rekorde. Die Proben haben dieser Tage begonnen.

Trier. Das Theater Trier pokert hoch. Statt edelkultureller Raritäten wie bei den Antikenfestspielen im Vorjahr soll in diesem Jahr Unterhaltung von höchster Qualität das Sommer-Publikum anlocken und die Spielzeit-Pause überbrücken. Die Ziele sind hoch gesteckt: Schafft es Intendant Weber, das beliebte Bernstein-Musical "West Side Story" gut zu verkaufen, kalkuliert er mit der dreifachen Besucherzahl der letztjährigen Festspiele.
Wenn man dieser Tage bei den ersten Proben in der ehemaligen Produktionshalle acht des Trier-Wester Autozubehör-Herstellers reinschaut, muss man sich noch Vieles hinzudenken. Der Raum ist so groß wie ein halbes Fußballfeld, und wiederum die Hälfte davon dient als Spielfläche. Das erreicht locker die Ausmaße der Bregenzer Seebühne - mit entsprechendem Auslauf für die Akteure. "Wir müssen uns ganz langsam an die Dimensionen herantasten", sagt Choreograph und Regisseur Sven Grützmacher fast beschwörend. Es seien "Wahnsinns-Wege", die die Akteure zurücklegen müssten.
Als wolle er seinen Chef bestätigen, rauscht ein Darsteller auf einem dröhnenden Motorrad zum Hallentor herein. Um ihn herum sausen Tänzer auf BMX-Rädern wie Irrwische, Rollerblader kreuzen den Weg.
Von Dirk Immichs Bühnenbild stehen nur Andeutungen. Ein Sandsack baumelt träge vor sich hin, zwei Matrazen markieren ein Bett, Euro-Paletten müssen als Ersatz für Straßen-Schauplätze herhalten. Ausgestattet mit Ketten (aus Plastik), Knüppeln und Lederjacken betreten ein paar schwere Jungs die Szenerie. Tänzer wie David Scherzer und René Klötzer sind darunter, aber auch die Chor-Allzweckwaffen Carsten Emmerich und Tim Heisse. Später, bei den Vorstellungen, werden sie sich als "Jets" und "Sharks" buchstäblich bis aufs Messer bekriegen.
Ein paar neue Gesichter sind auch dabei: die Musical-erfahrenen Gäste Eric Rentmeister und Carsten Lepper beispielsweise, die die Rollen der Jets-Anführer Riff und Tony übernehmen werden. Oder Luis Lay, ihr Kontrahent Bernardo - er ist neuer Spieltenor am Trierer Theater, Nachfolger von Peter Koppelmann, der das Haus zum Saisonende nach neun Jahren verlässt. Bei Lay schaut man gleich zwei Mal hin, verdient er doch ein regelmäßiges Zubrot als offizielles Barack-Obama-Double.
Die weiblichen Hauptrollen Maria und Anita werden mit Sängerin Joana Caspar und Schauspielerin Sabine Brandauer aus dem eigenen Ensemble besetzt. Aber beide sind an diesem Tag nicht beteiligt. Man könnte auch sagen: Sie haben Glück. Denn die Bedingungen sind noch äußerst schwierig, der Grund ist uneben und löchrig, alles staubt. Da bleibt noch jede Menge schweißtreibende Bauarbeit, damit die Tänzer irgendwann ihre Pirouetten auf dem Boden ohne Knieschoner drehen können.
Aber nicht nur die Handwerker müssen hart ran. Den schwierigsten Job hat wahrscheinlich Dirigent Victor Puhl. Er wird mit seinem Orchester im Nebenraum Platz nehmen, muss dort einen sauberen Sound kreieren, aber auch die Einsätze punktgenau auf die Bühne übertragen.
An diesem Proben-Morgen ist er erst einmal als Elektriker unterwegs, sucht händeringend einen Kabel-Anschluss für den Synthesizer.
Aber das Tohuwabohu bringt ihn nicht um seine Gelassenheit. Bis zur Premiere am 30. August sind es noch mehr als drei Monate. Gemessen in Theaterzeit: eine Ewigkeit. Die seltene Aufführung der Philip-Glass-Oper "The Voyage" lockt Publikum aus fernsten Sphären ins Trierer Theater. Für die Vorstellung heute Abend erreichte die Theaterkasse eine Mail von Martin Reyes aus Dallas, der mitteilte, er reise eigens für die Vorführung aus Texas an und bitte um die Reservierung einer Karte. Vielleicht steckt der begeisterte Amerikaner ja den einen oder anderen Trierer an. DiL

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