Von Anfang an stimmig

TRIER. Stimmige Inszenierung, brillante Darsteller und ein Stück mit zeitlos aktuellem Inhalt – mit dieser gelungenen Mixtur feierte der Dürrenmatt-Klassiker "Der Besuch der alten Dame" eine umjubelte Premiere im Trierer Theater in einer Inszenierung von Horst Ruprecht.

"Anständig ist nur, wer zahlt! Die Welt hat mich zur Hure gemacht - nun mache ich sie zu einem Bordell!" Mit diesem Standpunkt kehrt die reiche alte Dame Claire Zachanassian nach vierzig Jahren in ihre bankrotte Heimatstadt Güllen zurück, um deren Bewohnern einen perfiden Handel anzubieten: Eine Milliarde für den Mord am Mitbürger, Alfred Ill, der Claire als 17-jährige geschwängert, in einem Prozess mit bestochenen Zeugen aber die Verantwortung für die Vaterschaft abgeschmettert hatte. Ausgerechnet Ill aber ist derjenige, der in totaler Verdrängung der Jugendereignisse selbst bei Claire um finanzielle Hilfe für Güllen gebeten hat.Kollektiver Konflikt um Korrumpierbarkeit

So entwickelt sich das Stück einerseits um Alfreds persönlichen Konflikt, der Wandlung hoffnungsvollen Verdrängens in qualvolle Furcht bis hin zu Akzeptanz und innerlicher Befreiung. Und andererseits den kollektiven Konflikt um die Korrumpierbarkeit einer Gesellschaft, die schließlich aus Profitgier ein Verbrechen begeht und sich zu dessen Rechtfertigung gar eine eigene Moral zurechtzimmert. Das alles in dichter Dramaturgie, die vom Wechsel zwischen überaus komischen Passagen mit zahlreichen aktuellen Anspielungen und intensiven Bildern lebt. Komisch-grotesk wirkt zum Beispiel das buchstäbliche "Umfallen" des letzten Verteidigers der Humanität, des Lehrers, intensiv die Auseinandersetzung des in die Isolation getriebenen Alfred mit der eigenen Schuld. Peter Singer ist mit seiner glaubwürdigen Verkörperung dieses schlichten, mit dem Zerfall seiner Scheinwelt konfrontierten Mannes eine Idealbesetzung. Genau wie die großartige Verena Rhyn als Claire Zachanassian. Rhyn scheint die Rolle der unerschütterlichen, vom Leben gestählten Grande Dame geradezu auf den Leib geschneidert zu sein. Neben den Darstellerleistungen überzeugt die von Anfang an stimmige Inszenierung. Das Bühnenbild setzt mit spitzfindiger Symbolik Akzente: Eine überdimensionale Madonna als im Kontext der Handlung grotesk wirkendes Bildnis von Unschuld und Reinheit, ein Schild "Zu den Bahngleisen", das immer blinkt, wenn eine neue Richtung eingeschlagen wird. Wie in einer Schlüsselszene Alfreds, als er sich mit der Erkenntnis: "Einer wird mich zurückhalten" selbst an der Flucht hindert. Auch die Ausstattung spielt mit Symbolik und transportiert die Überzeichnung von Dürrenmatts Parabel ausgesprochen gekonnt. So tauchen an den Füßen der Güllener plötzlich mehr und mehr gelbe Schuhe auf, als Zeichen bröckelnden Widerstands und der Erwartung, in eine "güldene" Zukunft zu marschieren. Am eigentlich tragischen Schluss, dem kollektiven Mord an Alfred, erreicht die Groteske einen letzten komischen Höhepunkt. Das Lied der Capri-Fischer erklingt, denn Claire will ihrer toten Jugendliebe ein Mausoleum auf der Sonneninsel errichten. "Phänomenal", klingt es aus den Reihen der Zuschauer, die die rundherum gelungene Premiere mit brandendem Applaus feiern. Weitere Vorstellungen am 8. und 14. Oktober, 5., 13., 23. November, 2. und 11. Dezember, 11. und 28. Januar sowie am 2. Februar, je um 19.30 Uhr.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Vom erwischt werden
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael BoltonVom erwischt werden
Zum Thema
Aus dem Ressort