Vorgelesen - Hörbücher

Trier · Geheime Dokumente, europäische Spione, Aufstände und Freimaurer - das hört sich nach atemloser Spannung und durchgehörten Nächten an. Zumal der Antiheld des Hörbuches ein skrupelloser Fälscher ist.

Das stimmt allerdings nur in Teilen, denn Umberto Eco belohnt bei seinem "Der Friedhof in Prag" das aufmerksame Zuhören, bestraft aber jede Unachtsamkeit seines Publikums damit, dass der rote Faden der Handlung verloren geht. 1897 erwacht der Italiener Simone Simonini anscheinend erinnerungslos in einer Pariser Wohnung. Er beginnt Tagebuch zu schreiben, um sein Leben zu rekonstruieren. Dabei zeigt sich schnell seine gespaltene Persönlichkeit. Denn seine Eintragungen werden von einem zweiten Ich begleitet und kommentiert. Um Brücken zwischen den Einträgen zu bauen, nutzt Eco einen weiteren Erzähler. Wem diese Struktur nicht zu komplex ist und wer bereit ist, genau zuzuhören, der wird mit einer Vielzahl geschichtlicher Fakten und Anekdoten belohnt. So entsteht das Bild des Fälschers Simonini, der sich von Geheimdiensten kaufen lässt. Er hasst vor allem die Juden und verfasst die Bibel aller Antisemiten: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Dabei bedient sich Eco authentischer Figuren. Nur Simonini ist frei erfunden. Das Fazit: Der subtile Humor des Autors wird überall im Hörbuch spürbar. Allerdings schadet ihm Ecos Versuch, möglichst viele Details seiner fünfjährigen Recherche in dem Werk unterzubringen. Dennoch schaffen es die Sprecher Gert Heidenreich und Jens Wawrczeck mit erzählerischem Können, den Zuhörer 16 Stunden lang an das Buch zu binden. Für geduldige Geschichtsinteressierte lohnt sich dieses stimmige Porträt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Thomas Zeller Umberto Eco, Der Friedhof in Prag, ungekürzte Lesung, 14 CDs Der Hörverlag 2011, 29,99 Euro.

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