Wie ein zarter Traum von Operette

Trier · Emmerich Kálmáns "Gräfin Mariza" kann unsäglich sentimental werden. Aber das Trierer Theater hat in der Neuproduktion die szenischen und musikalischen Klischees geschickt vermieden. Und stattdessen die Feinheiten in dieser Erfolgsoperette neu entdeckt.

 Farbenfrohe Kostüme, beschwingte Musik: Die Operette Gräfin Mariza feiert in Trier Premiere. Foto: Theater/Marco Piecuch

Farbenfrohe Kostüme, beschwingte Musik: Die Operette Gräfin Mariza feiert in Trier Premiere. Foto: Theater/Marco Piecuch

Trier. Vielleicht müssen sich manche Produktionen erst mal einpendeln. Regisseur Klaus-Dieter Köhler hat in der Trierer "Gräfin Mariza" seine prächtige Idee von der Geisterstunde im Museum leider nur halbherzig umgesetzt. Wann und warum die Statuen von ihren Podesten steigen, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Das Träumerische am Operettentraum kommt anfangs etwas kurz. Zudem muss Zigeunerin Manja ihr Auftrittslied an der Rampe singen (statt im Hintergrund) und Silvie Offenbeck kämpft hörbar mit der Intonation. Und wenn der blechhaltige Höhepunkt im Vorspiel erst einmal vorbei ist, klingt es zunächst, als spiele das Orchester mit angezogener Handbremse.
Drama um Standesunterschiede


Das täuscht, wie sich zeigte. Emmerich Kálmáns Operette nimmt in Trier auch aus künstlerischem Kalkül nur vorsichtig Fahrt auf. Köhlers Regie entgeht zwar nicht immer der Gefahr von Kopflastigkeit. Aber der Regisseur hat ein Händchen für unaufdringliche Komik und ein sicheres Gespür für den Unterschied von Gefühl und Sentimentalität. In der reichen (aus Darmstadt angekauften) Ausstattung von Thomas Gruber und José Manuel Vázquez und der Choreographie von Jean-Pierre Lamperti spielt sich mehr ab als eine sentimentale Verwechslungskomödie. Da kommt ein gefühlvolles Drama um Klassen- und Standesunterschiede, um regionale Zugehörigkeiten auf die Bühne. Nicht der gedankenlose Schwung dominiert, sondern die durchdachte Geste. Joongbae Jee dirigiert dazu beharrlich gegen unsägliche Puszta-Paprika-Klischees an und entdeckt Erstaunliches: die Feinheiten dieser Partitur, ihre Intimität. Violinsolist Jakub Hanisz auf der Bühne, Holzbläser, hohe Streicher, Triangel und Glockenspiel im Graben zaubern eine fast unwirkliche Atmosphäre - ein zarter Traum von Operette. Gerade die melodramatischen Szenen, in denen die Tränenseligkeit lauert - sie wirken mit dem Instrumental-Filigran echt und überzeugend. Emmerich Kalman lagen eben nicht nur die Ohrwürmer - er war auch ein verdammt guter Komponist.
Der wusste natürlich, dass man nach der Pause noch Melodienseligkeit und Tanzstimmung nachlegen muss.
So kommt zum Feinsinn der Schwung, und oben auf der Bühne laufen die Akteure zu Hochform auf. Allen voran Joana Caspars Mariza: Ihr interessant timbrierter, höhenstarker Sopran, die Noblesse im Auftreten - da finden Bühnen-Begabung und Regie-Sensibilität zusammen. Svetislav Stojanovics Tassilo hat darstellerische Statur und sein heller, allerdings in der Höhe angestrengtem Tenor auch sängerische Deutlichkeit. Luis Lays Zsupán ist in seiner sängerischen Präsenz und tänzerischen Brillanz die Inkarnation des Operettentenors.
Nur Evelyn Czeslas sängerisch tadellose Lisa ist mit ihrem warmen Timbre fast ein wenig reif für die Absolventin eines Mädchenpensionats (weitere Akteure: Michael Höhler, Christian Miedreich, Tim Heisse, David Nolden). Im Chor (Angela Händel) klingt das Forte gelassen-kultiviert, nur bei den sechs Piroschka-Sängerinnen bleibt die Intonation ein Stück weit auf der Strecke. Wenn sich schließlich im dritten Akt die Handlung zieht wie an Gummifäden und auch dem Komponisten nichts mehr einfällt, dann schlägt endgültig die Stunde der Routiniers. László Lukács (Fürst Populescu) und Ferry Seidel (Tschekko) hatten von Beginn an mit ihrer enormen Bühnenpräsenz nachhaltig beeindruckt. Jetzt kommt Angelika Schmid dazu. Die hat sich mittlerweile perfekt in die Alte-Damen-Rolle hineingespielt. Da kann nichts mehr schief gehen: Die reiche Tante Bozena erscheint, Geld fließt, und alles ist in Butter. Als wär\'s ein Stück aus Euroland.

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