Flugzeugbauer Mitschuld an Unglück?

Luxemburg · Mit einem Sachverständigenbericht über angebliche technische Mängel an der abgestürzten Luxair-Maschine begann gestern in Luxemburg der Prozess um die Katastrophe vom 9. November 2002. 20 Menschen starben damals.

Luxemburg. Wie ein Mahnmal steht es auf einem Tisch vor dem Richtertisch: ein Teil des Cockpits der verunglückten Fokker 50; die beiden Hebel, mit denen die Piloten bei einer Propellermaschine die sogenannte Schubumkehr bei der Landung aktivieren. Die Propeller bleiben dann abrupt stehen, das Flugzeug wird abgebremst. 1543/02 lautet die Nummer des Beweisstückes. Ein Beweisstück, das in dem gestern begonnenen Prozess vor der 9. Strafkammer des Luxemburger Bezirksgerichts in den nächsten Wochen bis Ende November eine zentrale Rolle spielen wird.
Wie bereits zum Auftakt gestern Nachmittag. Der französische Luftfahrtexperte Vicent Favé nennt es eine Anomalie, dass diese Hebel während des Fluges auf eine Position gezogen werden konnten, die eigentlich nur bei einer Landung zulässig ist. Eine Anomalie, die zu dem Absturz der Fokker 50 am 9. November 2002 geführt und 20 Menschen das Leben gekostet hat. Weil durch die Betätigung der Schubumkehr die Maschine manövrierunfähig geworden ist und auf ein Feld kurz vor der Landebahn des Luxemburger Flughafens gestürzt und zerschellt ist.
Eine Anomalie, die dem Flugzeugbauer Fokker bereits zehn Jahre vor dem Absturz bewusst gewesen ist. Bereits mehrmals sei es deswegen bereits zu Zwischenfällen mit Propellermaschinen auch anderer Hersteller gekommen, sagt der Sachverständige. Zwar hat Fokker die Fluggesellschaften, die mit von ihm gebauten Maschinen geflogen sind, auf, so der Sachverständige, "versteckte Mängel" hingewiesen. Es hat aber offenbar keine Verpflichtung der Gesellschaften gegeben, diese Mängel zu beseitigen. Laut Favé hat Fokker es den Gesellschaften freigestellt, entsprechende Teile auf eigene Kosten auszutauschen. Auch Luxair hat offenbar nicht die Dringlichkeit dafür gesehen.
Vielleicht, so der Vorsitzende Richter Prosper Klein, habe es auch daran gelegen, dass Fokker nicht Klartext gesprochen habe, nicht ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass die Betätigung der Hebel in die falsche Richtung während des Fluges zur Katastrophe führen kann. Offenbar hätten alle, sowohl Fokker als auch Luxair, diese Möglichkeit von sich gewiesen. Er sei schockiert, sagt der Richter, dass es keinen Rückruf von Fokker gegeben hat wegen des anscheinend mangelhaften Teils.
Der damalige Luxair-Generaldirektor Christian Heinzmann, der zusammen mit zwei seiner Vorgänger, drei ehemaligen Technik-Verantwortlichen und dem Piloten der Maschine angeklagt ist, lächelt bei den Ausführungen des Richters. Deutet er doch damit an, dass Luxair und damit Heinzmann keine Schuld treffen könnte an dem Absturz. Der Ex-Generaldirektor tritt ohnehin sehr selbstbewusst auf, im Gegensatz zu dem Unglückspiloten. Der 35-Jährige wirkt gebrechlich, ist bleich, spricht sehr leise.
Zu Beginn des Prozesses fordern die Anwälte der vier Nebenkläger, Hinterbliebenen von Absturzopfern, dass die sieben Angeklagten nicht nur möglicherweise zu einer Haftstrafe, sondern auch zu Entschädigungen verurteilt werden sollen. 127 500 Euro fordert der Anwalt des Vaters des beim Absturz gestorbenen Künstlers Michel Majerus, die Lebensgefährtin des Gestorbenen will 150 000 Euro, und die Angehörigen der ums Leben gekommenen Stewardess verlangen 50 000 Euro von den Angeklagten. Johannes Kuhn, der schwer kranke im Rollstuhl sitzende Vater eines 36-jährigen Absturzopfers aus Nordrhein-Westfalen, bringt die Gefühle vieler Hinterbliebener auf den Punkt: "Wir hoffen durch den Prozess auf Gerechtigkeit. Wir glauben aber nicht dran."

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