Keine Ruhe am Ring

Mainz · Die Landesregierung blickt seit Monaten besorgt nach Brüssel. Denn bei der EU-Kommission, genauer von EU-Wettbewerbshüter Joaquín Almunia, wird entschieden, ob die Landesmittel für den Freizeitpark am Nürburgring rechtens waren. Einige unangenehme Fragen liegen auf dem Tisch.

Senkt die EU in Sachen Nürburgring den Daumen? Dann sind möglicherweise alle Verträge nichtig. Das wäre ein politisches Desaster für die rot-grüne Landesregierung. Nach Informationen unserer Zeitung fühlt die EU dem Land weitaus gründlicher auf den Zahn als bisher angenommen. Unserer Zeitung liegt der Fragenkatalog vor, den die Brüsseler Generaldirektion Wettbewerb am 26. Juli und dann in einer verschärften Fassung noch mal am 2. September an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Brüssel gesandt hat. Von dort dürften die Schreiben postwendend an die Mainzer Landesregierung gegangen sein.

Vor allem das jüngere Dokument hat es in sich. Bereits beim ersten Fragenkomplex unter dem Titel "A. Finanzierung des Projekts vor dem Darlehen der ISB" geht es gründlich zur Sache. Thema ist die umstrittene Finanzierung des Freizeitparks. Die EU-Kommission nimmt sich zum Beispiel die stillen Einlagen der RIM vor. Die RIM - und jetzt wird es kurz kompliziert - ist die rheinland-pfälzische Gesellschaft für Immobilien und Projektmanagement, eine 100-prozentige ISB-Tochter. ISB steht für die landeseigene Investitions- und Strukturbank. Das Land Rheinland-Pfalz war also in jeder Hinsicht im Boot. Bereits im Untersuchungsausschuss zur Nürburgringaffäre waren die stillen Einlagen der RIM immer wieder Thema.
Strittige Einlagen


Der Vorwurf der Opposition lautete, dass über diesen Umweg eine private Finanzierung des millionenschweren Projekts "Nürburgring 2009" vorgetäuscht worden sei. Die damalige SPD-Alleinregierung hat diesen Verdacht stets zurückgewiesen.

Nun hakt die EU-Kommission nach. Die Wettbewerbshüter wollen sinngemäß wissen: Wieso konnten die privaten Empfänger der stillen Einlagen dieses Geld mit saftigen Zinsaufschlägen weiterreichen? Immerhin ging es bei diesen (heimlichen) Beteiligungen laut EU-Vertretern um 85,5 Millionen Euro. Und weiter: Warum wurden die stillen Einlagen zu 100 Prozent über Ausfallbürgschaften abgesichert (üblich sind 80 Prozent). Die Brüsseler Behörde rätselt zudem darüber, warum das Land sich auf die Mediinvest GmbH des Düsseldorfer Unternehmers Kai Richter als Partner einließ. Die Wettbewerbshüter bezweifeln (wie schon der Rechnungshof), dass die Firma die Fähigkeit und Finanzkraft besaß, um das Projekt zu stemmen.

Am Ende vieler Fragen und der Schilderung von - aus EU-Sicht - fragwürdigen Sachverhalten wird stets gefragt: Hätte sich ein privater Investor so verhalten wie die landeseigenen Gesellschaften? An der Antwort lässt sich bemessen, ob ein Beihilfevergehen vorliegt. Ist das der Fall, hat die Regierung verbotene Mittel für den Park an der Rennstrecke fließen lassen. Solche Beihilfen ermöglichen in der Regel ein Geschäft, das sonst nie zustande gekommen wäre. Im Innen- und Infrastrukturministerium geht man allerdings nach wie vor davon aus, dass keine unrechtmäßigen Mittel geflossen sind.

Doch es gibt noch weitere Kritikpunkte. Unter der Überschrift "B. Pacht" will die EU wissen, in welchem Umfang "auf dem Umweg einer Spielbankabgabe" Gelder an die Nürburgring Automotive GmbH (NAG) fließen. Brüssel sieht diesen Punkt im Pachtvertrag unklar geregelt. Die Spielbankabgabe ist ein altes Reizthema für die christdemokratische Opposition.

Schließlich ist unter "C. Konzessionsvertrag über die Organisation der Formel-1-Rennveranstaltung" folgende Frage vermerkt: Die EU-Wettbewerbshüter wollen wissen, warum die Erlöse aus dem finanziell eher lukrativen Rennen vom Nürburgring-Pachtvertrag ausgenommen wurden. Der komplexe Kontrakt kam am 25. März 2010 zustande. Vertragspartner waren damals die nahezu landeseigene Nürburgring GmbH (als Besitzer des Rings) und die private Automotive (als Pächter und Betreiber des Rings).

Brüssel fragt konkret: "Erklären Sie bitte, warum der Pachtvertrag, der eigentlich die gesamten Wirtschaftsaktivitäten am Nürburgring erfassen soll, den für den Pächter vielleicht lukrativsten Bestandteil bei der ergebnisabhängigen Pachtzinsberechnung nicht ausdrücklich berücksichtigt?" Das Innenministerium muss darauf bis Mitte November eine gute Antwort haben. Eine Große Anfrage der CDU zum Thema braucht übrigens reichlich Zeit - das Ministerium erbat eine Fristverlängerung.Extra

Wer bei der EU den freien Wettbewerb hütet: 1. Die EU-Generaldirektion Wettbewerb (intern GD Wettbewerb) ist der direkte Ansprechpartner für die Landesregierung. Ihr Auftrag: Sie will dafür sorgen, dass in der EU alle Unternehmen unter gerechten und fairen Bedingungen miteinander in Wettbewerb treten können. Die Behörde sieht sich als Hüterin des freien Marktes. 2. Oberster Wettbewerbshüter der EU ist allerdings Joaquín Almunia, der Wettbewerbskommissar. Der spanische Sozialist wird auch in konservativen Kreisen respektiert. Kenner der Brüsseler Szene sagen, dass er sich selten selbst in Entscheidungen seiner Behörde einmischt. In jüngster Zeit hat aus Mainz lediglich Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne) Almunia persönlich getroffen - angeblich nur ein Antrittsgespräch. DB

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