Rot-Grün setzt den Rotstift an

Mainz · Mehr Geld für Schulen, Kommunen und die Energiewende, aber drastische Einsparungen im Hoch- und Straßenbau sowie rund 3000 Stellen weniger im öffentlichen Dienst: Diese Pläne der Landesregierung schlagen sich finanzpolitisch schon im Entwurf des Doppelhaushalts 2012/2013 nieder.

Mainz. Kurt Beck ist in der Vergangenheit nie ein Freund großer Worte gewesen, wenn es um den Schuldenberg des Landes ging, der längst die 30-Milliarden-Euro-Grenze überschritten hat. Er hat dann lieber von der großen Zusatzaufgabe der Konversion gesprochen oder davon, mit kreditfinanzierten Investitionen in der Wirtschaftskrise die Konjunktur anzukurbeln. Und so ist das, was der Mainzer Regierungschef am Dienstag in der Staatskanzlei zu sagen hat, wegen seiner Einmaligkeit bemerkenswert: "Wir haben uns sehr viel Mühe gemacht, eine wirkliche Weichenstellung vorzunehmen. Es ist sichergestellt, dass wir die Schuldenbremse einhalten."
Ein Lächeln huscht über Becks Gesicht, als er den Entwurf des Doppelhaushalts, den das Kabinett am Morgen verabschiedet hat, einen "Paradigmenwechsel" nennt. Es gehe darum, die Neuverschuldung in den Griff zu bekommen und - so wie in ganz Europa - die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen.
Rot-Grün hat schon einige Duftmarken gesetzt in der noch jungen Wahlperiode, etwa bei der Vorbereitung der Energiewende. Der Doppelhaushalt stellt das in Zahlen gegossene Programm der beiden Koalitionspartner dar und legt den finanziellen Rahmen fest.
Über die Details ist in den vergangenen Monaten heftig hinter den Kulissen gerungen worden. Im Finanzministerium empfing Staatssekretär Salvatore Barbaro beinahe täglich mit Akten bewaffnete Stäbe der anderen Ressorts. Der entscheidende Unterschied zu Verhandlungen früherer Regierungen: Das Finanzministerium machte offensiv Vorgaben, etwa die, verstärkt Drittmittel einzuwerben und andernfalls auf Maßnahmen zu verzichten.
Oder es machte Anmerkungen über die zweifelhafte Notwendigkeit verschiedener Haushaltstitel. Rückblickend attestiert Barbaro den Gesprächspartnern süffisant "einen gewissen Hang zur Dramatik". Immer, wenn der Satz gefallen sei, "wie könnt ihr nur so stur sein", habe sich das Ende der Verhandlung abgezeichnet.
Herausgekommen ist bei dem ganzen Prozedere, dass sich in den beiden kommenden Jahren eine Konsolidierungssumme von mehr als 800 Millionen Euro ergibt. Damit reduziert sich auch das sogenannte strukturelle Defizit, das 2011 auf 1,63 Milliarden Euro beziffert wurde und bis 2020 bei null liegen muss.
Die besondere Schwierigkeit bestand darin, gleich zwei Verfassungsgrenzen einzuhalten, wie Finanzminister Carsten Kühl erklärt: Einerseits die, dass die Höhe der neuen Kredite nicht die Höhe der Investitionen übersteigen darf. Andererseits musste die Landesregierung aufzeigen, wie die Neuverschuldung bis 2020 auf null sinken soll. Eine "riesige Kraftanstrengung" sei das gewesen.
"Stark durch Realismus geprägt und ohne heroische Annahmen" nennt der Finanzminister das Zahlenwerk. Er kalkuliert unter anderem mit Mehreinnahmen durch die Erhöhung der Grundsteuer um 1,5 Punkte auf fünf Prozent, die dem Land dauerhaft 100 Millionen Euro beschert. Der "Wassercent", der 2013 für die Entnahme von Grund- und Oberflächenwasser erhoben werden soll, bringt 20 Millionen Euro ein.
Auf der Ausgabenseite lässt Rot-Grün kräftig den Rotstift kreisen. Dabei wird sich der Stellenabbau im öffentlichen Dienst bei den Vermessungs- und Katasterämtern (210), bei den Grundbuchämtern (55), bei der Polizei (rund 300), bei den Lehrern (2000) und bei den Finanzämtern (300) erst mittelfristig ab 2014 finanziell auswirken. Bereits kurzfristig schlägt sich das Maßnahmenpaket nieder, das viele Bereiche umfasst (siehe Bericht Seite 1). Grundsätzlich werden auslaufende Projekte nicht verlängert und keine neuen Projekte mehr gestartet. Wenn vom Sparen und Konsolidieren die Rede ist, darf eines nicht vergessen werden: Das Land hat auch 2012 und 2013 noch höhere Ausgaben als Einnahmen und muss die Lücke durch neue Kredite schließen. Der Schuldenberg erhöht sich im nächsten Jahr um rund 1,1 Milliarden Euro, im Jahr darauf noch um 932 Millionen.
Dass bei allen Sparbemühungen auch politische Akzente gesetzt werden, betont die Grüne Eveline Lemke, stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin. "Wir wollen sozial, ökologisch und nachhaltig wirken", sagt sie. Dann zählt sie auf, dass trotz sinkender Schülerzahlen mehr Mittel in die Unterrichtsversorgung fließen, in kleinere Schulklassen, in mehr Ganztagsschulen und in die kostenlose Schülerbeförderung.
Mehr Geld gebe es auch für die Forschung und die Hochschulen sowie für die Gestaltung der Energiewende, speziell für Energieberatung und den Ausbau intelligenter Netze.
Die verantwortliche Ministerin stört es nach eigenem Bekunden nicht, dass die Landesregierung auch im Bereich der Wirtschaftsförderung spart. Es gebe ausreichend Mittel in den europäischen Töpfen, um die wegfallenden Landesmittel zu kompensieren, erläutert Lemke. "Ich empfinde es als wohltuend, dass die Wirtschaft sich solidarisch zeigt und mitwirkt", sagt die Grüne.
Sowohl die SPD als auch die Grünen sind sich klar bewusst, welchen Unmut die beschlossenen harten Einschnitte hervorrufen können und wohl auch werden. Sie wollen "um Akzeptanz für die erforderlichen Maßnahmen werben und die Menschen in Rheinland-Pfalz von der Richtigkeit überzeugen". Laut Ministerpräsident Kurt Beck "geht es uns nicht ums Sparen als Selbstzweck. Wir wollen Zukunft für unser Land schaffen".Extra

Schuldenbremse: Als Schuldenbremse wird in Deutschland eine verfassungsrechtliche Regelung bezeichnet, die die Föderalismuskommission Anfang 2009 beschlossen hat, um die Staatsverschuldung Deutschlands zu begrenzen, und die Bund und Ländern seit 2011 verbindliche Vorgaben zur Reduzierung des Haushaltsdefizits macht. Nach dieser Regelung soll die strukturelle, also nicht konjunkturbedingte, jährliche Nettokreditaufnahme des Bundes maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen. Für die Länder wird die Nettokreditaufnahme ganz verboten. Ausnahmen sind bei Naturkatastrophen oder schweren Rezessionen gestattet. Die Einhaltung der 0,35-Prozent-Grenze ist für den Bund ab 2016 zwingend, das Verbot der Nettokreditaufnahme der Länder tritt ab 2020 in Kraft. Der Bundestag hat der Regelung zugestimmt und am 29. Mai 2009 mehrere notwendige Verfassungsänderungen in die Wege geleitet. Für die Verfassungsänderung votierte im Juni 2009 auch der Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Rheinland-Pfalz hat die Schuldenbremse in seiner Landesverfassung verbindlich verankert. Quelle: WikipediaExtra

CDU-Chefin Julia Klöckner kommentiert: "Eine klare Trendwende ist aus den Eckwerten nicht erkennbar." Sie kündigt eine intensive Beratung und Debatte des neuen Doppelhaushaltes im Landtag an. "Heute schon lässt sich festhalten, dass die Landesregierung in erster Linie ein Ausgabenproblem hat, weniger ein Einnahmeproblem." Die Steuereinnahmen würden sprudeln und um 1,6 Milliarden Euro steigen, doch die Neuverschuldung sinke gerademal um 700 Millionen Euro. Ein glaubwürdiger Einstieg in die Schuldenbremse gelinge nicht. Die Landesregierung habe den Ernst der Lage offensichtlich nicht erfasst. "Die Landesregierung darf nicht nur auf Mehreinnahmen setzen", fordert Klöckner. Die Ausgaben müssten dauerhaft und strukturell gesenkt werden. Dabei sei die Landesregierung ein schlechtes Vorbild. "Sie schafft ein neues Ministerium und verkauft Einsparungen, die keine sind", erklärt die Christdemokratin. "Jedes Jahr 40 Millionen aus Rücklagen zu entnehmen, die die Landesbeamten für ihre Versorgung eingezahlt haben, hat mit Sparen nichts zu tun." Das Fazit der CDU-Partei- und Fraktionschefin: "Der Ausstieg aus dem Schuldensystem Beck scheint nicht gelungen." fcg

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