Zwischen Nächstenliebe und Leichenschändung

Berlin · Schon wieder steht der Bundestag vor einer schwierigen moralischen Frage: Die Organspende soll neu geregelt werden. Gestern fand im Gesundheitsausschuss eine Anhörung mit Rechts- und Ethikexperten statt.

Berlin. Demonstrativ nahmen die Vorsitzenden der beiden großen Fraktionen, Volker Kauder für die Union und Frank-Walter Steinmeier für die SPD, gestern an einer Sitzung im Gesundheitsausschuss teil. Es ging um die Frage, wie die Organspende in Zukunft geregelt werden soll. Beide Fraktionsvorsitzenden engagieren sich persönlich für dieses Thema und streben noch im Herbst einen parteiübergreifenden Gruppenantrag an. Tausende schwer kranke Patienten warten dringend darauf.
Es geht darum, wie mehr Bürger dazu gebracht werden können, im Todesfall Körperteile für Transplantationen zur Verfügung zu stellen. Eines ist klar: Die jetzige Regelung, bei der Organe nur entnommen werden dürfen, wenn der Verstorbene dies in einem Spenderausweis erlaubt oder wenn, falls ein solcher Ausweis nicht vorhanden ist, die Angehörigen zustimmen, ist die schlechteste aller Lösungen.
Täglich sterben im Durchschnitt drei Menschen in Deutschland, jährlich also tausend, weil nicht genug Spenderorgane zur Verfügung stehen.
Das krasse Gegenmodell zur geltenden "freiwilligen Zustimmungslösung" ist die "Widerspruchslösung". Sie besagt genau umgekehrt, dass eine Zustimmung zur Organentnahme generell als erteilt gilt, wenn ihr der Verstorbene zu Lebzeiten nicht widersprochen hat.
Spanien und Österreich haben solche Regelungen - und kein Problem mit dem Angebot an Spenderorganen. Doch fast einmütig lehnten die Experten gestern diese Variante ab.
Steinmeier und Kauder wollen nun eine sogenannte Entscheidungslösung einführen. Jeder soll mindestens einmal im Leben, zum Beispiel bei der Beantragung des Führerscheins oder des Personalausweises, aktiv gefragt werden, ob er spenden will oder nicht. Das werde, so Steinmeiers Hoffnung, die Zahl der Spender nennenswert erhöhen. Steinmeier selbst ist ein Vorbild: Als Lebendspender gab er im vergangenen Sommer seiner kranken Frau eine Niere.
Doch auch die Entscheidungslösung hat ihre Tücken. Offen ist zum Beispiel, wie die Antworten der Befragten dokumentiert werden. Unklar ist auch, was passiert, wenn jemand sich nicht entscheiden will oder kann.
Allerdings, so unter anderem der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), ließe sich mancher Fortschritt schon erzielen, wenn die Praxis verbessert würde, etwa durch Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern. Das will die Bundesregierung jetzt forcieren.

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