"Juden halten Christusfrage offen"

SCHWEICH. Er ist ein geschliffener Rhetoriker, einer, dem man fasziniert zuhört, auch wenn die Materie für Nicht-Theologen nicht gerade leichte Kost ist. Die Synagoge in Schweich war jedenfalls bis auf den letzten Platz besetzt, als Heinz-Günther Schöttler mit Gedanken zur neuen Verhältnisbestimmung zwischen Judentum und Christentum seine Zuhörer zu kritischem Reflektieren anregte.

 Heinz-Günther Schöttler bei seinem Vortrag in der voll besetzten Schweicher Synagoge. TV-Foto: Sandra Blass-Naisar

Heinz-Günther Schöttler bei seinem Vortrag in der voll besetzten Schweicher Synagoge. TV-Foto: Sandra Blass-Naisar

Zu Beginn seines Vortrags stellte Heinz-Günther Schöttler ein Zitat Dietrich Bonhoeffers aus dessen 1941 verfassten "Ethik": "Die Juden halten die Christusfrage offen" und die Schlussfolgerung des im konspirativen Widerstand gegen Hitler tätigen evangelischen Theologen: "Eine Verstoßung der Juden aus dem Abendland muss die Verstoßung Christi nach sich ziehen, denn Jesus Christus war Jude."Papst bedeutend für die Beziehung

Erschrocken darüber, dass die Schoah im christlichen Abendland möglich war, haben Christen das Verhältnis zum Judentum, das durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte in Theologie und Ikonographie schwer belastet war, neu gesehen. Auf katholischer Seite zu nennen: das Zweite Vatikanische Konzil und besonders Papst Johannes Paul II, der einen "grundstürzenden Wandel" der Beziehung bewirkt habe. Die biografisch begründete Israel-Theologie des vor zwei Jahren verstorbenen Papstes sei von innovativer Kraft und von geschichtlicher Bedeutung. Das geänderte Verhältnis der Kirche zu den Juden spiegele sich besonders im Schuldbekenntnis und in der Vergebungsbitte wider, "in der der Papst vor Gott die jahrhundertelange Schuld der Christen Israel gegenüber bekennt und zudem betont, dass Israel das "Volk des Bundes" sei. "Johannes Paul II ist der erste Papst gewesen, der den "zumindest praktizierten Absolutheitsanspruch der Kirche mit seiner faktischen Heilsexklusivität in Bezug auf das Judentum relativiert hat", unterstreicht Professor Schöttler. Er bildet an der Universität Bamberg katholische Theologen aus, ist aber auch in der Rabbinerausbildung am Potsdamer Abraham-Geiger-Kolleg tätig.Doppelter Ausgang fürs "biblische Judentum"

Für den Papst gründe sich die gläubige Weggemeinschaft von Christen und Juden im Heilsplan Gottes "auf der Ebene ihrer je eigenen Identität". Beide Wege - der christliche und der jüdische - seien "vollgültige Wege zum Heil, beide, Christen und Juden, legen auf ihre je eigene Weise Zeugnis ab für den einen Gott." Wenn die päpstliche Bibelkommission 2001 feststellt, dass "die jüdische Messiashoffnung nicht vergeblich ist", dann sei diese Aussage von theologisch erheblicher Tragweite. Denn es kennzeichne die jüdische Messiashoffnung ja gerade, dass sie "Nein" zum kirchlichen Christusdogma sage. Schöttler differenzierte, dass das "biblische Judentum" einen doppelten Ausgang gefunden habe: in ein "rabbinisches Judentum" und in ein "messianisch geprägtes Christentum". Der christliche Weg sei ein Weg "per Christum" (durch Christus). Die "Judenmission" beschädige den eigenen christlichen Glauben, weil sie die Treue Gottes, die er Israel zugesagt hat, bezweifele und Gottes Bund mit Israel in Frage stelle (siehe Römerbrief 11,29). Der Vortrag wurde musikalisch begleitet von hebräischen Weisen, höchst stimmungsvoll und einfühlsam instrumentalisiert von Martin Sons am Cello und Theo van der Poel am Akkordeon.

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