Kampagne Wörtlich genommen: Sexualisierte Gewalt gehört auch in Trier auf den Müll

Trier · Der Zweckverband Abfallwirtschaft Region Trier (A.R.T.) und der Verein S.I.E., der den Frauennotruf und die Interventionsstelle Trier betreibt, starten eine gemeinsame Kampagne gegen sexuelle Belästigung.

 Diskussion auf dem Domfreihof: Nicole Kürten (Vorstandsvorsitzende S.I.E. e.V. Trier), Max Monzel (Verbandsdirektor des Zweckverbands Abfallwirtschaft Region Trier), Christel Baltes-Löhr (Professorin an der Uni Luxemburg) im Gespräch mit Ruth Petri (Leiterin des Frauennotrufs Trier).

Diskussion auf dem Domfreihof: Nicole Kürten (Vorstandsvorsitzende S.I.E. e.V. Trier), Max Monzel (Verbandsdirektor des Zweckverbands Abfallwirtschaft Region Trier), Christel Baltes-Löhr (Professorin an der Uni Luxemburg) im Gespräch mit Ruth Petri (Leiterin des Frauennotrufs Trier).

Foto: Katharina Fäßler

Fast alle Müllwagen des Zweckverbands ART tragen bis Ende des Jahres magenta-pinke Plakate mit dem Hashtag #abfuhr. Darauf zu sehen ist eine frech herausgestreckte Zunge, die an das bekannte Symbol der Rolling Stones erinnert, aber mit Zahnlücke und nicht-sexualisierten Lippen. Bei der Rockband stand die Zunge für Rebellion. Und auch der Verein S.I.E. will damit aufrütteln.

„Jede zweite Frau hat schon sexuelle Belästigung erlebt, das ist für Frauen Alltag“, sagt die Psychologin Ruth Petri, Leiterin des Frauennotrufs Trier bei der Podiumsdiskussion zur Eröffnung der Kampagne am Freitag auf dem Domfreihof. „Aber sie werden in unserer Gesellschaft noch als einzelne ‚Betroffene’ wahrgenommen. Deshalb braucht es Kampagnen, die Menschen zum Diskutieren anregen.“

30 Menschen sind auf den Platz gekommen. Das Thema ist präsent: Die weltweite MeeToo-Debatte, der wütende Hashtag #aufschrei – überall ist von Belästigung am Arbeitsplatz oder sexualisierter Gewalt zu lesen und zu hören. Viele Männer sind dadurch verunsichert. Die Psychologin Petri spürt diese Stimmung und macht klar: „Das heißt nicht, dass Männer jetzt nicht mehr flirten dürfen. Frauen flirten gerne, aber auf Augenhöhe. Und wenn sie genug hat, dann muss das auch respektiert werden. Das nennt man Konsens.“ Es müsse sich etwas in den Köpfen der Menschen verändern, um veraltete Denkmuster zu überwinden. „Das dauert lange.“ Frauen müssten weder erobert werden, noch seien sie das „schwächere Geschlecht“.

Der derzeit noch lokale Hashtag #abfuhr soll deshalb vor allem die positive Handlungsfähigkeit der Belästigten zeigen. Auf Facebook können Frauen oder zum Beispiel transsexuelle Menschen damit persönliche Erlebnisse erzählen, aus denen sie trotz des Übergriffs gestärkt herausgingen oder bei denen sie unerwartete Solidarität erfuhren.

 Auf den ersten Blick verbindet den S.I.E. e.V. und den Zweckverband ART wenig. Auch Verbandsdirektor Max Monzel, Vorsitzender der CDU Trier, ist sich der unpassend wirkenden Kooperation bewusst: „Schon rein farblich tut die Plakatkampagne jedem Mega-Ästhetiker ein bisschen weh. Aber wir stechen damit ins Auge, Menschen werden sich daran stoßen, und dadurch geben die Plakate von selbst Anstoß zur Diskussion.“

Aber auch strukturell und inhaltlich kommen hier zwei Institutionen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen: Auf der einen Seite das Frauenbüro, das mit seinen ausschließlich weiblichen, zum großen Teil ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen seit fast 26 Jahren besteht und die Kampagne seit einem Jahr vorbereitet. Auf der anderen der Zweckverband als Männer-Domäne, mit 120 ausschließlich männlichen Müllwagenfahrern.

Wie diese denn die Kampagne aufgenommen hätten, möchte die Moderatorin, Professorin Christel Baltes-Löhr, wissen. Monzel erzählt, dass er bei seinen Mitarbeitern anfangs auf Irritation gestoßen sei. Man habe gefragt ‚wieso wir?’ und gesagt, dass man damit im Hause doch kein Problem habe. Diese Angst, selbst an den Pranger gestellt zu werden, müsse überwunden werden, meint die Moderatorin Baltes-Löhr, da das Aufgreifen eines kritischen Themas eben nicht automatisch bedeute, dass man es selbst besonders nötig habe.

Die Psychologin Petri wendet ein, dass es auf der Welt leider keine Institution gebe, bei der sexualisierte Übergriffe nicht passieren. Vorbildlich sei deshalb, von Anfang an offen darüber zu reden und schon im Voraus zu überlegen, wie man mit Fällen umgehen möchte, die einem bekannt werden. Der S.I.E. e.V. berate Einrichtungen auf Anfrage auch gerne bei diesen Überlegungen und biete Workshops an.

Die Initiative und Finanzierung der jetzigen Kampagne gingen vom S.I.E. e.V. aus. Grundsätzlich ist der Abfallzweckverband auch für Kooperationen mit anderen gemeinnützigen Verbänden offen, zum Beispiel aus dem Umweltbereich – bisher habe aber noch keiner angefragt. Monzel und Petri hoffen, dass die Kooperation auch in anderen rheinland-pfälzischen Städten Nachahmer findet und lange nachklingt.

Informationen zur Kampagne und der Arbeit des S.I.E. e.V. gibt es unter www.frauennotruf-trier.de; Notruf und Beratung: Telefon 0651/2006588.

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