Regionale Wirtschaft Der Tarifstreit entscheidet sich bei der Arbeitszeit

Trier · Mit harten Bandagen ringen die Arbeitgeber aus der Metall- und Elektrobranche und die IG Metall um einen Tarifabschluss.

 Wie geht es bei den Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektrobranche weiter? In der Diskussion von rechts: Thorsten Bröcker, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes vem.die arbeitgeber, TV-Chefredakteur Thomas Roth, IG-Metall-Chef Christian Z. Schmitz und TV-Redakteurin Sabine Schwadorf.

Wie geht es bei den Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektrobranche weiter? In der Diskussion von rechts: Thorsten Bröcker, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes vem.die arbeitgeber, TV-Chefredakteur Thomas Roth, IG-Metall-Chef Christian Z. Schmitz und TV-Redakteurin Sabine Schwadorf.

Foto: TV/Heribert Waschbüsch

Die Tarifauseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft in der Metall-  und Elektro­branche reicht bis in die Region Trier hinein. Es geht um mehr Geld und flexible Arbeitszeiten. In einem TV-Redaktionsgespräch stellten die unterschiedlichen Akteure,  Thorsten Bröcker, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes vem.die arbeitgeber e.V., und Christan Z. Schmitz, IG-Metall-Bevollmächtigter in der Region Trier, ihre Sichtweise vor. Interviewt wurden sie von TV-Chefredakteur Thomas Roth und den beiden TV-Redakteuren Sabine Schwadorf und Heribert Waschbüsch.

Uns interessiert zunächst ein Blick auf die Branche insgesamt und besonders in der Region. Wie stehen die Unternehmen derzeit da?

Schmitz: Wir haben viele Automobilzulieferer. Fast 60 Prozent unserer Mitglieder sind dort beschäftigt. Zudem gibt es bei uns einige Maschinenbaufirmen. Unter den Automobilzulieferern haben wir vor allem Konzernableger in der Region. Das sind zum Beispiel ThyssenKrupp oder Schaeffler, und da hängt die Situation vom Mutterkonzern ab. Das war bei ThyssenKrupp zuletzt eher schwieriger und wird noch anhalten. Die Idee mancher Manager, Arbeit nach Osteuropa zu verlegen, haben einige schon bereut, weil die Arbeitskräfte dort nicht so qualifiziert sind und Facharbeit und Ingenieurswissen nicht so verzahnt sind. Deswegen gibt es dort weniger Produkt- und Prozessinnovationen als bei uns. Aber in unserer Region stehen die meisten Unternehmen sehr gut da.

Bröcker: Bei der Bewertung, warum ein Unternehmen ins Ausland geht, würde ich das gerne den Unternehmen überlassen. Und bei der Sicht auf die Lage sind wir mit den Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen durchaus einig. Die Situation ist ausgesprochen gut. Wir haben für fünf Monate Aufträge in den Büchern. Aber wir haben eine Investitionsschwäche, und die hat verschiedene Ursachen. Einer dieser Gründe ist, dass die Kosten für die Produktion in Deutschland zu hoch sind. Ein anderer Grund ins Ausland zu gehen, ist, dass man den Markt direkt beim Kunden bedienen kann, und zum Teil wünschen es Kunden, dass bei ihnen vor Ort produziert wird.

Schmitz: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen steht außer Frage, man hat sprudelnde Gewinne und volle Auftragsbücher, gerade weil man wettbewerbsfähig ist.

Bröcker: 25 Prozent der Firmen machen Verluste oder schreiben eine schwarze Null. Und gerade die kleinen und mittleren Unternehmen wie hier in der Region haben eine Nettoumsatzrendite von zwei Prozent. Wenn wir die verteilen wollen, müssen wir schauen, wie wir das tun.

Die IG Metall hat ja einen ganzen Katalog von Forderungen aufgestellt. Was ist Ihnen denn besonders wichtig, was hat Priorität?

Schmitz: Es gibt zwei Forderungen gleichberechtigt nebeneinander. Das eine ist eine Entgeltforderung von sechs Prozent. Wir haben uns darauf  geeinigt, weil wir nicht wie auf einem orientalischen Basar möglichst viel fordern wollten, um uns dann in der Mitte zu treffen. Zusätzlich fordern wir eine verkürzte Vollzeit, die Option, die Arbeitszeit bis zu 28 Stunden zu reduzieren und das bis zu zwei Jahren. Und eben einen Teillohnausgleich (bis zu 750 Euro für Schichtarbeiter im Jahr und  bis zu 200 im Monat für alle anderen; Anm. der Redaktion)  für besonders belastete Mitarbeiter. Zusätzlich drei Punkte: Erstens einen freien Tag für Auszubildende vor der Prüfung, zweitens ein Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte bei der Frage der Personalbemessung. Und schließlich wollen wir auf die ostdeutschen Arbeitgeber einwirken, dass im Jahr 28 nach der Wiedervereinigung auch in Ostdeutschland die 35-Stunden-Woche kommt.

Wie viele Menschen arbeiten in der Region in der  Metall- und Elektrobranche, wie viele sind gewerkschaftlich organisiert?

Schmitz: Wir haben hier 14 tarifgebundene Betriebe, diese stehen, bis auf eine Ausnahme, derzeit sehr gut da. Diese Betriebe machen gut zwei Drittel der IG Metallmitglieder aus. In der Metall- und Elektroindustrie haben wir in der Region geschätzt 10 000 Beschäftigte, davon sind 3800 IG Metall-Mitglieder. In kleineren Betrieben bis zu 20 Mitarbeiter sind wir eher selten drin. 

Herr Bröcker, was sind denn für die Arbeitgeber die Knackpunkte? Die IG Metall glaubt ja, mit den sechs Prozent schon nah am Ergebnis zu rangieren …

Bröcker: Mag sein, dass Herr Schmitz das so sieht. Beim Entgelt denke ich allerdings auch, dass wir eine Lösung finden. Aber wir haben außer unserem ersten Angebot noch nicht darüber gesprochen. Wir Arbeitgeber sagen, dass  ist wie ein Prinzip der kommunizierenden Röhren. Wenn ich viele quantitative und qualitative Forderungen habe, auf der anderen Seite aber nur ein, zwei Euro verteilen kann, dann kann ich nicht alle Wünsche erfüllen. Wir haben rund 15 Punkte, über die wir in der Tarifrunde reden wollen. Das ist nicht unmöglich, aber kompliziert. Beim Entgelt liegt der Ball nun bei der IG Metall. Schwieriger wird es beim Entgeltzuschuss. Eine solche Forderung im Tarifvertrag würde zur Rechtswidrigkeit der Regelung führen, und wir haben das Problem, dass die Unternehmen dies nicht mit ihren Compliance-Richtlinien umsetzen können. Im Idealfall muss die Forderung weg. Beim Thema Arbeitszeit verstehe ich, dass Arbeitnehmer flexibler arbeiten wollen, aber das darf keine Einbahnstraße sein. Denn es sind weniger die Arbeitgeber, die den Takt vorgeben, sondern es ist der Kunde, der sagt, ich hätte gerne diesen Wunsch oder diese Lieferzeit. Was die Forderungen für einen freien Tag für Auszubildende angeht, setzen wir auf freiwillige Angebote der Unternehmen.

Schmitz: Tarifpolitik ist nicht nur Wettbewerbspolitik, sondern Gesellschaftspolitik. Es geht uns um die Gestaltung von Leben und Arbeit. Ich zitiere einen Artikel aus dem Volksfreund. Dort wurden Gründe für einen Arbeitsplatzwechsel abgefragt, und das Geldthema war auf Platz sechs. Bei den ersten fünf Gründen ging es um Vereinbarkeit von Arbeit und Leben, von Familie und Beruf, von Freizeit und Beruf. Bei uns in der Region gibt es mit Volvo nur ein Unternehmen, das eine 28-Stunden-Woche mit Rückkehrrecht in die Vollzeit anbietet. Wir wollen eben ein tarifliches Recht auf verkürzte Vollzeit. Nehmen Sie das Beispiel unbefristete Übernahme von Auszubildenden. Was sind wir beschimpft worden, das sei „Beamtenmentalität“. Heute sind die meisten Arbeitgeber bei uns in der Region dankbar, weil sie auf dem engen Ausbildungsmarkt einen Vorteil haben. Und genauso wird es beim Thema Arbeitszeit sein. Wir haben hier auch keinen Fachkräftemangel in der Region, sondern fehlende Wettbewerbsfähigkeit.

Die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nimmt zu. Wie wichtig ist es, eine attraktive Branche zu sein?

Bröcker: Das ist essenziell für unsere Unternehmen. Wir sind hier aber nicht in einer Metropolregion, wo die Leute gerne hinziehen. Dennoch mit einem Durchschnitts­entgelt von 55 000 bis 58 000 Euro im Jahr sind wir ja nicht am unteren Ende. Zudem   haben wir mannigfaltige tarifliche Regelungen, die es obendrauf gibt, betriebliche Altersvorsorge, Altersteilzeitregelung oder auch die Übernahme der Azubis, Schichtzuschläge und einen riesigen Blumenstrauß weiterer Regelungen finanzieller Art.

Ist das ein Anliegen nur für einzelnen Unternehmen oder sehen Sie die Aufgabe, das auch in der Fläche zu regeln?

Bröcker: Ich bin der Meinung, dass Tarifpolitik immer nur den Rahmen setzen und Mindestbedingungen regeln sollte. Und die Unternehmen sollten sich heraussuchen, was für sie sinnvoll ist.

Die IG Metall musste viele Jahre für die 35-Stunden-Woche kämpfen. Nun fordern Sie das Recht auf eine verkürzte Wochenarbeitszeit von 28 Stunden mit Rückkehrrecht zur Vollzeit. Gibt es auch hier eine schrittweise Annäherung?

Schmitz: Die Möglichkeit, sich hier anzunähern, ist ja schon durch einige Vorleistungen erbracht. Herr Bröcker wird sicher zustimmen, dass wir in den letzten Jahren  mit dem Arbeitgeberverband eine Tarifpolitik gemacht haben, die durchaus der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie entgegenkommt. Wir haben genügend Flexibilität geschaffen, auch über Tarifverträge bei der Arbeitszeit, um nach unten wie nach oben betriebliche Möglichkeiten auszugleichen. Wir erhöhen die Maschinenlaufzeiten, wir machen alles für die Produktivität, das ist doch klar. Jetzt sind die Arbeitnehmer bei der Flexibilität mal an der Reihe. Es löst auch Fragen des Arbeitgebers bei einer älter werdenden Belegschaft: Wie können wir diese Fachkräfte im Betrieb halten? Gerade weil von uns die Flexibilität da ist, muss es auf der anderen Seite auch möglich sein, diesen Menschen, die zeitweise nicht mehr können, sei es gesundheitlich oder weil sie Eltern oder Kinder pflegen oder betreuen müssen, die Gelegenheit dazu zu geben. Die Menschen haben es verdient, zumal die Lebensarbeitszeit verlängert wurde. Ist das Fachkräftesicherung oder Arbeitsentzug? Objektiv gesehen ist es erst mal beides. Auf der anderen Seite haben wir eine hohe Zahl an Menschen, die in Teilzeit sind und in Vollzeit zurück wollen, das aber nicht können. Wir können uns da nicht auf die Politik verlassen und müssen das tariflich lösen, und aus meiner Sicht zwingen wir die Arbeitgeber hier zu ihrem Glück. Zudem haben wir keinen Fachkräftemangel. Wenn aus der Region jeder sechste Arbeitnehmer in Luxemburg arbeitet und jeden Morgen  zwei Stunden Stau in Kauf nimmt, hat  das seinen Grund: Die Angebote sind auf dem hiesigen Arbeitsmarkt für sie unattraktiv.

Bröcker: Dass wir keinen Fachkräftemangel haben, hat uns die IG Metall auch bei der letzten Verhandlungsrunde in Saarbrücken erzählt. Das verwundert doch sehr: Wir vertreten rund 160 Unternehmen und die sagen mir alle, dass sie keine Fachkräfte finden. Selbst Studien der Arbeitsagentur oder gewerkschaftseigener Institute haben ermittelt, dass 20 Prozent der Unternehmen Produktionsbehinderungen wegen fehlender Fachkräfte haben.

Stichwort Rückkehrrecht in Vollzeit: Das haben wir jetzt schon im Gesetz  drinstehen. Sie kennen die Regelung des Teilzeitbefristungsgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes: Wenn der Arbeitgeber Bedarf für eine Vollzeitstelle hat, muss er zuerst die im Betrieb beschäftigten Teilzeitkräfte befragen. Wir haben viele Teilzeitkräfte in den Betrieben, doch ein Großteil davon ist zufrieden.

Glauben Sie denn umgekehrt, dass viele der Grenzgänger wieder zurückkämen, wenn Sie als IG Metall all Ihre Forderungen durchsetzen könnten?

Schmitz: Es kommen ja viele genau wegen des Vereinbarkeitsthemas zurück. Sie wollen nicht mehr zwei Stunden täglich im Stau stehen und nehmen sogar 200 bis 300 Euro netto monatlich weniger in Kauf, wenn sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen für sie verbessern. Aber die Arbeitnehmer nehmen nur einen gewissen Grad von Gehaltseinbußen in Kauf und gehen natürlich selbstbewusster auf deutsche Arbeitgeber zu. Sicher nützt uns als Gewerkschaft das auf dem Arbeitsmarkt. Natürlich können wir den Ausbau des Sozialstaates in Luxemburg nicht beeinflussen. Deswegen muss man sich als Arbeitgeber hier jedoch besonders gegen die Decke strecken, weil man mit Luxemburger Betrieben konkurriert.

Herr Bröcker, Sie haben gesagt, dass der Entgeltzuschuss rechtlich ein Problem darstellen könnte. Wie stehen Sie inhaltlich dazu?

Bröcker: Tarif- und beschäftigungspolitisch wollen wir keinen Entgeltzuschuss zahlen, weil wir einen Fachkräftemangel haben und wir nicht mehr Geld für weniger Arbeit zahlen wollen. Und den Fachkräftemangel wollen wir nicht noch befeuern, indem wir es attraktiv machen, dass die Mitarbeiter unterm Strich netto kaum Verluste haben. Darüber hinaus ist das Thema auch für nachvollziehbare Gründe wie Pflege oder Schichtarbeit ein Thema des Gesetzgebers, der soziale Härten abfangen oder mildern muss. Das ist nicht Aufgabe der Tarifparteien. Da werden wir inhaltlich nicht zusammenkommen.

Sie haben zu Anfang angesprochen, dass Sie für viele Forderungen Verständnis haben. Was ist es denn die absolute Grenze der Arbeitgeber, an der die Verhandlungen scheitern?

Bröcker: Jede Seite hat ihre roten Linien. Bei uns ist es der Entgeltzuschuss. Jedenfalls dann, wenn wir bei der Arbeitszeit Bewegung sehen und wir eine Flexibilisierung nach oben und unten bekommen.

Und welches ist denn die Forderung, die unbedingt vonseiten der IG Metall durch muss, um den Streit nicht eskalieren zu lassen?

Schmitz: Ich gehe davon aus, dass es ohne Arbeitszeitregelung derzeit keinen Abschluss geben wird. Arbeitszeitsouveränität ist das Thema der Zukunft. Die 35-Stunden-Woche ist ja auch nicht in einer Tarifrunde durchgesetzt worden. Die Arbeitszeit wird auch in den nächsten Runden deshalb noch unser ständiger Begleiter sein. Mal gucken, wie weit wir kommen. Aber ganz ohne Regelung werden wir nicht vom Tisch gehen. Dabei geht es ja um einen Teillohnausgleich von 65 bis 200 Euro als Pauschale, damit sich das auch Beschäftigte in unteren Entgeltgruppen leisten können.

Bröcker: Der Entgeltzuschuss führt aber bei einigen sogar dazu, dass die Beschäftigten netto nur etwa 50 bis 100 Euro weniger in der Tasche haben. Ich kann jeden Mitarbeiter verstehen, der dann die Arbeitszeit reduziert. Damit würde der Fachkräftemangel aber weiter verstärkt.

Plaudern Sie doch mal aus dem Nähkästchen. Wie darf man sich denn Tarifverhandlungen vorstellen? Geht man einfach raus, um tief Luft zu holen? Trinkt man später noch ein Bier zusammen?

Bröcker: Wir sind noch einigermaßen weit auseinander, zumindest klingt das nach außen so. Gleichwohl wurde letzte Woche je ein Expertenkreis aus Arbeitgebern und Gewerkschaftern gebildet, der sich verschiedene Dinge im Detail anschauen sollte. Allein dass wir ein solches Gremium eingesetzt haben, zeigt ja, dass wir zu einer Einigung bereit sind. Wir sagen auch: Die Wirtschaft brummt, und wir wollen die Mitarbeiter daran fair beteiligen, aber wir können den Euro nur einmal verteilen. Und dabei müssen wir gucken, wie viel können wir davon bei der Entgeltforderung ausgeben, wie viel kostet uns das Thema Arbeitszeit, was kosten uns die Freistellungen der Azubis, und am Ende macht man einen Strich drunter. Entscheidend ist, dass das Paket austariert ist.

 Thorsten Bröcker, Geschäftsführer vem.diearbeitgeber.

Thorsten Bröcker, Geschäftsführer vem.diearbeitgeber.

Foto: TV/Heribert Waschbüsch

Schmitz: Es gibt zwar nächste Woche einen ernsthaften Einigungsversuch, aber es ist nur ein Versuch. Und ich weiß, dass die Erwartungshaltung in unseren Betrieben hoch ist. Tarifverhandlungen sind Friedensverhandlungen. Aber nach dem Termin am Wochenende sind erst mal keine weiteren Gespräche geplant. Sollten die Arbeitgeber uns nicht entgegenkommen, werden wir in der Region Trier weitere Streikmaßnahmen durchführen.

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