Aufgeben gilt nicht!

Gerolstein/Trittenheim · Sie stehen exemplarisch für viele Sportvereine in Deutschland. Der SV Gerolstein (Vulkaneifelkreis) und der SV Trittenheim (Kreis Trier-Saarburg) müssen sich großen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen. Beide Clubs haben nach schwierigen Jahren Wege aus der Krise gefunden.

 Auf Umwegen sind Georg Linnerth (links) und Niko Schmitt zu ihren Ämtern im SV Gerolstein und SV Trittenheim gekommen. Die beiden Vorsitzenden sehen ihre Vereine nach schweren Zeiten wieder auf einem guten Weg. Doch die Zukunft wird keineswegs einfach. TV-Fotos: Mirko Blahak (2)

Auf Umwegen sind Georg Linnerth (links) und Niko Schmitt zu ihren Ämtern im SV Gerolstein und SV Trittenheim gekommen. Die beiden Vorsitzenden sehen ihre Vereine nach schweren Zeiten wieder auf einem guten Weg. Doch die Zukunft wird keineswegs einfach. TV-Fotos: Mirko Blahak (2)

Gerolstein/Trittenheim. Georg Linnerth (65) legt eine Reihe von Din-A4-Blättern auf den Tisch. Seiten mit farbigen Diagrammen, Thesen, Schlagworten. Sie sind das Resultat einer Überprüfung der eigenen Vereinsarbeit. Zu ihr sah sich der SV Gerolstein vor sechs Jahren gezwungen. Damals musste ein neuer Vorsitzender gefunden werden. Zudem lief die Vorstandsarbeit nicht mehr rund. Das Frustpotenzial war groß. "Ein extern moderierter Arbeitskreis sollte sich über die Zukunft Gedanken machen", erinnert sich Linnerth, der als ehemaliger Stadtbürgermeister in die Runde gerufen wurde. Außerdem mit im Boot: Der Sportbund Rheinland mit seiner Management-Akademie. Seit zehn Jahren bietet sie Vereinen Hilfe an - in Fach- und Zukunftsfragen. Herausgekommen ist ein Konzept, mit dem der Mehrsparten-Club beim Wettbewerb "Der zukunftsfähige Sportverein" gewann. Im Vorstand wurden die Aufgaben genau beschrieben und neu verteilt. Mehr Struktur für mehr Lust und weniger Frust. Erfolgsrezept: Flache Hierarchien

Ortswechsel. Trittenheim an der Mosel. Beim örtlichen Sportverein war die Lage vor mehreren Jahren noch prekärer. Die Clubauflösung war ein Thema, weil das Vereinsleben ziemlich brachlag. Nach dem Rückzug des Vorsitzenden wurde das Tagesgeschäft einige Zeit kommissarisch geführt. Die finanzielle Basis war schlecht, der Elan der Führungsmannschaft dahin. Eine Gruppe junger Einwohner packte schließlich an und verhalf dem Verein mit Hilfe des Sportbunds zu neuer Blüte. Einer von ihnen ist Niko Schmitt, der damals den Vorsitz übernahm. "Ich war Fußballer im Verein und wollte auch meinen Kindern ein Bewegungsangebot vor Ort ermöglichen", nennt der 38-jährige Winzer eine Motivation. Aus dem Fußballclub wurde ein Mehrspartenverein mit derzeit 220 Mitgliedern. Ein Erfolgsrezept: Flache Hierarchien an der Vereinsspitze, die dazu führen, dass die Arbeit und die Verantwortung nicht nur an ein oder zwei Personen hängenbleiben. Nach ein paar Jahren ist es nun erneut Zeit für Neuerungen. In Gerolstein. In Trittenheim. "Wir brauchen einen Mitarbeiterkoordinator", sagt Linnerth, der aus seiner damaligen Moderatorenrolle heraus den Vorstandsposten beim SV Gerolstein übernahm. Der Koordinator soll helfen, frühzeitig interne Probleme zu erkennen. Was dahintersteckt: Ehrenamtliche Mitarbeit darf nicht als selbstverständlich erachtet werden. "Lob ist wichtig. Und konkreter Dank. Zum Beispiel in Form von Helferfesten oder Ausflügen", sagt Linnerth. Und die Ehrenamtlichen dürfen nicht draufzahlen für ihr Engagement. Dazu zählt die Erstattung von Fahrt- oder Seminarkosten. Grundlage dafür: eine gesunde finanzielle Vereinsbasis. Die zu erhalten, ist eine weitere Herausforderung für viele Vereine. Auch die Führungscrew in Trittenheim will effektiver werden. "Wir müssen Aufgaben wieder besser verteilen, um die Motivation hochzuhalten", sagt Schmitt. Allen Anstrengungen zum Trotz bleibt die Suche nach ehrenamtlichen Mitarbeitern schwierig. "Wir haben vor zweieinhalb Jahren bei unseren 850 Mitgliedern die Bereitschaft zur Mitarbeit erfragt. Nur zehn Mitglieder haben sich zurückgemeldet", berichtet Linnerth. Veränderte Anforderungen im Arbeits- und Schulalltag führen dazu, dass immer weniger Menschen mit langfristigen Aufgaben betraut werden wollen. Linnerth: "Wir müssen mehr projektorientiert arbeiten." Dazu gehört auch, die Jugend mit ins Boot zu nehmen. Der SV Gerolstein macht das über eine eigene Abteilung. "Wenn man als Ehrenamtlicher etwas erreicht, ist das motivierend. Vereinsarbeit macht Spaß", betont Schmitt. Wenn die Grundlagen stimmen. Sie zu erhalten, ist eine immer wiederkehrende Aufgabe. Linnerth: "Die Suche und Ansprache von Ehrenamtlichen ist ein Dauergeschäft."Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Ehrenamt? Was läuft gut, wo klemmt\'s? Mailen Sie uns an echo@volksfreund.de. Bitte Name und Anschrift nicht vergessen. Extra

Der Kölner Sportwissenschaftler Christoph Breuer (Foto: privat) ist Autor des Sportentwicklungsberichts, den der Deutsche Olympische Sportbund, das Bundesinstitut für Sportwissenschaft und die Kölner Sporthochschule alle zwei Jahre herausgeben. In ihm wird unter anderem die Situation der Sportvereine beleuchtet. Herr Breuer, haben Sportvereine heute größere Zukunftssorgen als vor ein paar Jahren? Breuer: Ja. Der Anteil an Sportvereinen mit existenziellen Problemen ist in den vergangenen vier Jahren deutlich angestiegen - bundesweit von knapp 15 Prozent auf bis zu 40 Prozent in manchen Bundesländern. Kernproblem ist die Gewinnung ehrenamtlicher Funktionsträger? Breuer: Genau. Das ist auffällig. Die Vereine haben in erster Linie Schwierigkeiten im Bereich Personal. Daneben gibt es weitere Probleme, deren Ausmaß nicht so groß ist: Hier geht es um die Themen Mitgliedergewinnung, Bindung jugendlicher Leistungssportler und Gesetzes-Vorschriften. Wird sich das Ehrenamts-Pro blem noch verschärfen? Breuer: Es ist zu befürchten, dass es bei der nächsten Erhebung noch mal eine kleine Steigerung geben wird. Wie reagieren die Vereine? Breuer: Die erste Reaktion ist, dass die noch aktiven Ehrenamtlichen mehr arbeiten. Im zweiten Schritt wird versucht, mehr Arbeit auf sogenanntes informelles ehrenamtliches Engagement zu verlagern. Nicht alle Aufgaben müssen von Funktionsträgern ausgeübt werden. Wenn das noch nicht hinreichend ist, besteht der dritte Schritt darin, die Arbeit mittels 400-Euro-Jobs, Ausbildungsplätzen oder Stellen für Freiwillige Soziale Jahre aufzufangen. Vereine versuchen also, verschiedene Möglichkeiten auszuschöpfen, die für sie noch nicht so teuer sind. Wo liegen die Gründe für die Probleme, ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden? Sind die Vereine schuld? Oder stimmen die Rahmenbedingungen nicht? Breuer: Beides spielt eine Rolle. Man darf aber auch nicht alles schwarzmalen. Nach wie vor schafft es kein gesellschaftlicher Bereich so stark wie der organisierte Sport, ehrenamtliche Arbeit zu aktivieren. Ein Punkt, der häufig vergessen wird: Es ist für Sportvereine wichtig, mindestens eine weibliche Ansprechpartnerin im Vorstand zu haben. So können andere Frauen wesentlich besser für eine Mitarbeit im Sportverein angesprochen werden. Das Interview führte unser Redakteur Mirko Blahak.

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