KOLUMNE

Vielleicht macht das ihre Ehefrau auch so. Wenn sie einen besonderen Artikel in einer Frauenzeitschrift findet, reißt sie ihn heraus und hebt ihn auf. Jedenfalls hat meine Frau Claudia diese Angewohnheit, Haushalttipps aufzubewahren oder Reportagen, die sie interessant oder zutreffend findet.

Und so begann eines Abends das Verhängnis. Claudia war kurz außer Haus, da fand ich auf ihrem Nachttisch die herausgerissene Seite. "Früher überraschte er mich mit kleinen Aufmerksamkeiten", stand in anklagenden Lettern neben dem Foto einer verheulten Frau. Ich runzelte die Stirn und trat näher. Sollte das ein Zeichen sein? Bestimmt nicht. Ich drehte die Seite um. Auf der Rückseite befanden sich nur ein paar kleine Artikel und eine halbseitige Versicherungswerbung. Ich wandte das Blatt und überflog die Reportage der weinenden Hilde. Wie sie bestimmt wissen, werden diese "wahren Geschichten" von keiner betroffenen Ehefrau geschrieben, sondern von kreativen Zeitschriften-Mitarbeiterinnen frei erfunden. Aber sie sind so geschickt verfasst, dass sie passiert sein könnten. Hilde erzählte also, dass ihr Mann ihr früher Blumen mitgebracht habe. Heute sei das nicht mehr der Fall, ihr fehle das. Nun gut, die letzten Blumen hatte ich Claudia vergangenes Jahr zum Geburtstag mitgebracht. Hilde fuhr fort in ihrem herzzerreißenden Bericht und beklagte, dass er ihr noch nicht einmal mehr die kleinen Naschereien mitbringen würde, und schloss mit der Frage, ob ihr Mann sie noch liebe. Ja, das mit den Süßigkeiten hatte ich vor ein paar Jahren eingestellt, als im Sommer die Pralinen im Auto geschmolzen waren. Aber nein, Claudia war nicht Hilde, und ohnehin: Hilde gibt es gar nicht. Erleichtert sprach ich das aus und erleichterte am nächsten Tag meinen Geldbeutel bei meinem Floristen. Ich war nur etwas verärgert, dass mich der Blumenhändler nicht mehr erkannte. Auf der Heimfahrt genoss ich den Duft der Rosen, doch zu Hause wurde meine Euphorie jäh gebremst. Denn meine Frau freute sich zwar über die Blumen, empfing mich jedoch mit dem Generalverdacht aller seit zehn Jahren Verheirateten: "Hast du ein schlechtes Gewissen?" Geistesgegenwärtig wies ich das von mir und erinnerte sie an ihren Namenstag, den sie in neun Tagen habe. "Ich dachte schon", meinte sie, "weil ja heute weder Muttertag noch mein Geburtstag ist. Aber mal was anderes: Hast du eigentlich mein Rezept vom Streuselkuchen gesehen? Ich wollte den nämlich morgen backen. Das war so ein kleiner Artikel in meiner Zeitschrift, den ich herausgerissen habe, neben einer Versicherungswerbung, auf der Rückseite ist das Bild einer verheulten Frau..." Frank Schmitt In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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