Von Anfang an ein Forum für viele Meinungen

Mitte des 19. Jahrhunderts ist der Zeitungsmarkt in der Trierer Region bunt gesprenkelt. Viele Meinungsblätter, von politisch liberal bis konservativ katholisch, dominieren die Szene. Da macht sich ein Zeitungsverleger daran, ein unabhängiges Blatt zu gründen, das auch die Zeit des Nationalsozialismus überstehen wird. Der Trierische Volksfreund ist geboren.

Es ist der 30. April 1938. Die Nazis sind in Deutschland an der Macht und treffen die ersten Vorbereitungen für den Überfall auf Polen ein Jahr später, der den Zweiten Weltkrieg in Europa einläuten wird. Über tausend Kilometer weiter im Westen betritt ein NSDAP-Mann das Büro des hiesigen Zeitungsverlegers Nikolaus Koch. Der Mann ist nicht zum ersten Mal in der Chefetage des Trierischen Volksfreunds. Wenn Koch sich nicht endlich dem Nazi- Pressetrust anschließen wolle, drohe ihm ein Gefängnisaufenthalt, eröffnet der Nazi-Repräsentant dem Verleger, der bereits in der dritten Generation die größte Zeitung in der Region um Trier durch schwierige Zeiten steuert. Aber Nikolaus Koch lenkt zum wiederholten Male nicht ein. Der mit 27 Jahren noch junge Zeitungsverleger, der den Tod seines Vaters Nikola Koch 1935 noch verarbeiten muss, will seinen Trierischen Volksfreund den Nazis nicht so einfach übergeben. Schließlich hatte sich sein Vater schon bis zu seinem Todestag am 20. Juni 1935 erfolgreich dem Druck widersetzt. Koch kommt ins Gefängnis. Der Trierische Volksfreund erscheint nicht mehr. Stattdessen müssen die Trierer nun das linientreue „Nationalblatt“ lesen, das bereits Anfang 1930 von Robert Ley als zuständigem Gauleiter gegründet wurde. Aber nicht nur die Zeitung wird verboten, auch Zeitungsmitarbeiter werden entlassen, das Druckhaus wird im Krieg stark beschädigt.

Koch hatte wochenlang um seine Zeitung und deren Unabhängigkeit gekämpft, aber letztlich den Kampf gegen die übermächtige NSDAP verloren. In einem Deutschland, in dem eine Diktatur sich daran machte, das ganze Land in den Ruin zu treiben, war kein Platz mehr für seine unabhängige Zeitung. Diese Unabhängigkeit jedoch war von Anfang an das Alleinstellungsmerkmal des Trierischen Volksfreunds und eine der wichtigen Ursachen seines Erfolgs.

Ein Blick zurück: Die Trierer Zeitungslandschaft besteht in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus vielen Meinungsblättern. Die reicht vom „Trierischen Wochenblatt“ (1818-1820), das als reines Anzeigenblatt Versteigerungen und Verkäufe annonciert, über das „Paulinusblatt“ in kirchlicher Hand bis zum „Trierischen Tageblatt“ (1895-1902), das der Zentrumspartei gehört und deren politischem Kurs folgt. Natürlich gibt es auch Blätter, die Literatur oder Humorvolles drucken, es gibt sogar ein „Käseblatt“ (1820), das witzige Anekdoten veröffentlicht. Aber eine neutrale Zeitung, die vielen Meinungen Raum lässt, fehlt noch. In diese Marktnische stoßen Nikolaus Philippi und Nikolaus Koch, die am 1. Mai 1875 eine Druckerei in der Fleischstraße 66 von Eduard Groppe erwerben. Sie geben das „Trierische Anzeigeblatt“ heraus. Es erscheint dreimal wöchentlich. 1878 ändert die Zeitung ihren Namen in „Trierischer Volksfreund“ und erscheint erstmals täglich. Nachdem Nikolaus Philippi 1899 das Unternehmen verlässt, bleibt Nikolaus Koch mit seiner Familie Alleinbesitzer des Verlags. Sein Sohn Nikola führt die Zeitung erfolgreich weiter. Schon im Jahr 1903 lässt er in der Trierer Böhmerstraße ein zweistöckiges Druckhaus bauen: Raum genug für eine für die damalige Zeit moderne Rotationsdruckmaschine, die vier Seiten drucken kann. 1912 kauft Koch eine schnellere Druckmaschine, die bereits einen Umfang von 16 Seiten bewältigt. Ihre Stundenleistung liegt bei bis zu 14 000 Exemplaren, einem enormem Tempo für die damalige Zeit. Zudem erscheint die Zeitung zweimal täglich in einer Morgen- und Abendausgabe. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs erhöht sich die Auflage sogar auf bis zu 22 000 Stück. Zudem erscheint die Zeitung zweimal täglich mit einer Morgen- und Abendausgabe. Nach Kriegsende, im Jahr 1921, kauft der Verlag eine weitere Rotationsdruckmaschine. Der Volksfreund hat sich zur wichtigsten Zeitung im Trierer Raum entwickelt. Er beweist auch in der Zeit zwischen den Weltkriegen seine Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit. Mehrmals wird sein Erscheinen tageweise verboten, weil seine Redakteure nach dem Ersten Weltkrieg an der Politik der französischen Besatzungsmacht Kritik üben. Trotz Währungsreform und Weltwirtschaftskrise steigt die Abonnentenzahl des TV jedoch auf 35 000 Leser im Jahr 1923 – bis die Nazis die rasante Entwicklung wiederum jäh stoppen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg liegt die Stadt Trier und die Region in Trümmern. Und auch beim Trierischen Volksfreund herrscht die Stunde null, denn das Druckhaus ist durch Bombenangriffe stark beschädigt. Aber zwei alte Schnellpressen aus dem Jahr 1903 finden sich im Keller. Drucker, Redakteure, Angestellte, die den Zweiten Weltkrieg an den verschiedensten Orten, in Gefangenschaft oder der Internierung überlebt hatten, finden wieder zusammen, um gemeinsam einen Neuanfang zu machen. Mit den Schnellpressen müssen die Mitarbeiter drei Tage und drei Nächte lang drucken, um 40 000 Exemplare für eine erste Ausgabe zu produzieren. Da auch die Setzmaschine fehlt, muss der erste Leitartikel, der am 10. April 1946 erscheint, noch von Hand gesetzt werden, wie zu Gutenbergs Zeiten. So zählt der Trierische Volksfreund zu den ersten Zeitungen, die nach Kriegsende erscheinen dürfen. Der Gefängnisaufenthalt des Verlegers Nikolaus Koch und Zeugenaussagen der Redakteure und Drucker beweisen den Siegermächten, dass der Volksfreund nie auf den Kurs der Nazis eingeschwenkt ist. Der Verlag kann so seine Unabhängigkeit und demokratische Einstellung in die Gegenwart retten. Hans-Peter Linz

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort