Start. Sprint. Ziel. Wir rennen jeden Tag mit vollem Einsatz

Wir klagen über die ständige Erreichbarkeit, den Arbeitsdruck und schalten auch in unserer Freizeit nicht mehr richtig ab. Was ein Fachmann für neue Medien, ein Wirtschaftspsychologe und eine Philosophin dazu sagen.

Start. Sprint. Ziel. Wir rennen jeden Tag mit vollem Einsatz
Foto: iStock/Neustockimages

Ich möchte einfach hier sitzen." Hermann, Loriots gezeichnete Knubbelnasenfigur, sitzt im Sketch einfach da und verweigert sich tapfer allem. Er will nicht lesen, nicht fernsehen. Hermann will lediglich zweckfreie Zeit hinter sich bringen. An Arbeit wäre gar nicht zu denken. Ein Luxus. Wer hat dazu heute schon die Zeit? Oder genauer gefragt: Wer nimmt sich eigentlich noch die Zeit dazu? Sie vielleicht? Ich? Unsere Freunde? Die Nachbarn? Und wie oft?

Es ist aus der Mode gekommen, Zeit ereignis- und ergebnislos verstreichen zu lassen. Beim Sport verbrennen wir Kalorien, am Wochenende gehen wir mit den Kindern in den Zoo, beim Wellnesswochenende betreiben wir bewusst Erholung und in der Sauna schreiben wir unsere nie endenwollende mentale To-do-Liste weiter. Wir sind immer beschäftigt.

Würde der gleichmütige Hermann mit uns befreundet sein wollen? Denn es kommt ja noch viel dicker: Wir bleiben zwar, wenn wir Fieber haben, zu Hause, arbeiten aber trotzdem weiter. Laptops und Smartphones machen uns ständig erreichbar und lassen uns die Firma erreichen.

Wir klagen über Stress bei der Arbeit, schalten dennoch selbst im Urlaub das Blackberry nicht aus, checken unsere Mails nach Feierabend. Wir brüten abends weiter über Konzepten und Projekten, lösen weiter Aufgaben. Die Bürotür ist zu und trotzdem geht es munter weiter.

Der VW-Betriebsrat hat kürzlich eine Betriebsvereinbarung für mehr als 1100 Blackberry-Nutzer des Unternehmens durchgesetzt: 30 Minuten nach der Gleitzeit wird die E-Mail-Funktion abgeschaltet. Gestartet wird sie wieder vor Arbeitsbeginn am nächsten Morgen - ein Ansatz zum Schutz der Mitarbeiter vor dem oft genannten Stress durch die ständige Erreichbarkeit.

Seit langem lesen wir von der steigenden Zahl psychischer Erkrankungen in Deutschland. Die Gesundheitsreports der Krankenkassen belegen die Entwicklung jährlich mit Zahlen. Betroffen sind Arbeitnehmer der unterschiedlichsten Berufsgruppen (siehe Grafiken Seite 7 und 8). Gleichzeitig gibt es in den vergangenen Jahren eine gesellschaftliche Debatte über eine Zunahme des sogenannten Burn-outs. (siehe Extra Seite 8).

Warum sind wir immer erreichbar? Warum fühlen wir uns eigentlich so gestresst? Was treibt uns an? Warum sind wir nicht alle ein wenig mehr wie Hermann?

Information first: Erst die E-Mail und dann das Vergnügen



"Muss nur noch kurz die Welt retten, danach flieg' ich zu dir. Noch 148 Mails checken ... Wer weiß, was mir dann noch passiert ..." Der junge Sänger Tim Bendzko nimmt in seinem Hit 2011 die gesellschaftlichen Prioritäten auf die Schippe: Zuerst kommt die Arbeit, dann vielleicht das Vergnügen, aber ganz sicher werden 148 oder auch 148 713 E-Mails gelesen. Warum ist das so?

Unsere Neugierde ist mit schuld daran, dass die E-Mail-Flut auf fruchtbaren Boden fällt, sagt Michael Jäckel, Professor für Soziologie an der Universität Trier und seit dem vergangenen Jahr auch ihr Präsident.

"Wer erst einmal auf den Geschmack des Mediums gekommen war, dessen Haltung hat sich deutlich verändert. Dieselben Menschen, die früher gesagt haben ,Verdammt, was geht mich das alles an', fragen heute ,Warum habe ich schon so lange keine E-Mail mehr bekommen". Nach einer anfänglich reservierten Haltung sei die E-Mail-Nutzung Mitte der 90er Jahre gewissermaßen explodiert. Die Einführung der Smartphones hat die Entwicklung noch beschleunigt, weil die Nachrichten rund um die Uhr überall abgerufen werden können.

"Es ist mehr als eine Gewohnheit geworden, eben auch ein bequemes Medium, das hier und da auch mal das Gespräch auf dem Flur ersetzt oder ergänzt." Auch die Neigung, sich bei der Arbeit selbst zu unterbrechen, sei größer geworden. "Heute wird auch noch aus dem Fenster gesehen und auf dem Flur gesprochen, aber die Erwartung, dass es eine Information gibt, die uns betreffen könnte, ist durch die E-Mail gesteigert worden und hat die Art und Weise, wie wir arbeiten, verändert. "

In der Summe ist für Michael Jäckel die E-Mail dennoch eine sehr praktische Erfindung. Denn es geht nicht um die Verteufelung eines eingeführten Kommunikationsmediums, sondern um den bewussten Umgang mit den Begleiterscheinungen. Dazu gehört für ihn die Zeit, die außer für das Lesen und das Checken unserer Accounts, das Verwalten und Löschen draufgeht. Nicht zu vergessen die Zeit, die wir zusätzlich in sozialen Netzwerken wie Facebook verbringen.

Die Mail sei ja eigentlich ein elektronischer Brief, wie die noch kürzere Twitter-Nachricht, und werde oft nicht optimal genutzt. Sie sei zum Beispiel für Terminfestlegungen von Sitzungen ziemlich ungeeignet. Er rät für die Koordination von Teams, generell zur Terminplanung, andere Software zu nutzen, und nennt als Beispiel Doodle (Englisch: to doodle = kritzeln. Es handelt sich dabei um einen Internetdienst für Terminkoordination).

Regeln für die E-Mail-Kommunikation können nach seiner Meinung in jedem System oder Unternehmen helfen. Aber eine Lösung wie bei VW hält er für einen Rückschritt. "Ich glaube, dass die Zahl derer, die über eine solche Regelung verärgert sind, genauso groß ist wie die Zahl derer, die sagen ,Gott sei Dank'. Was, wenn jemand eine Teamarbeit final abstimmen möchte?"

Das Einzige, was für ihn hilft, ist Selbstmanagement im Umgang mit den neuen Medien. "In einer Welt, die für alles Angebote bereit-hält, wird es ohne Prioritäten und Selbstdisziplin immer schwieriger. Diese Wahl nimmt einem niemand ab", sagt Michael Jäckel. "Die Probleme, die durch neue Medien entstehen, sind eben auch hausgemacht."

Der Experte für Medien und Kommunikation hält einen Papier-Terminkalender hoch, den er immer noch parallel zu allen modernen Errungschaften unserer Kommunikationsgesellschaft nutzt. Und wie zum Beweis, dass ein bewusster Umgang und eine Auswahl aus den Möglichkeiten funktioniert, fügt er hinzu: "Ich habe trotzdem noch keinen Termin verpasst."

"Früher hat man Dinge erfunden, um die Knappheit aus der Welt zu schaffen. Heute weiß man, dass Erfindungen - gemeint sind die neuen Medien - auch Knappheit verursachen können," sagt er. "Wenn Sie alleine überlegen, dass es für alles eine App gibt." Nach Jäckels Meinung werden deshalb Orientierung und Auswahlhilfen immer wichtiger, sogenannte Meta-Medien. Er nennt als Beispiel RSS-Feeds (steht für Really Simple Syndication und ist ein Internetdienst, der Nutzer auf dem neuesten Stand hält), Alerts (E-Mail-Benachrichtigungen) und Suchmaschinen. "Es werden neue Such- und Filtermedien entwickelt, die uns den Umgang mit den neuen Medien gestatten." Und dennoch "werden wir das Gefühl behalten, dass wir in einer Welt leben, in der es zu viel gibt", fasst er zusammen.

Welche Herausforderungen noch auf uns warten? Gute Frage. "Neue Hard- und Software schafft auch neue Gelegenheitsstrukturen." Das Smartphone fungiere ja bereits als Zeitüberbrücker. "Wer heute in einer Schlange anstehen muss, dem sind Technologien, die ihn beschäftigen, willkommen." Es wird darüber diskutiert, dass die neuen Medien uns dazu verleiten unsere Gedächtnisse auszulagern. Unser digitaler Terminkalender erinnert uns zum Beispiel mit einem Piepen an unsere Termine. Diese neue Form des Aufeinanderangewiesenseins werde erst dann bemerkt, wenn der Akku mal leer ist, - oder das Gerät fehlt. Es werde wie der Verlust eines "Partners", der einem beim Erinnern hilft, empfunden.

Warum empfinden wir uns selbst als so gehetzt?


Wir haben mehr Freizeit als unsere Eltern- und Großelterngeneration. Warum fühlen wir uns heute im Gegensatz zu ihnen dennoch so gestresst? Warum wäre ein Sketch wie mit Hermann heute gar nicht mehr möglich?

Professor Thomas Ellwart ist Leiter der Abteilung Wirtschaftspsychologie an der Universität Trier und stellt von vorneherein klar: Auf alle Fragen zum Zusammenwirken von Arbeitsanfall, Stress und Gesundheit gibt es keine einfachen Antworten. "Sicher", bestätigt er, "bis Mitte der 50er Jahre gab es sogar noch eine Sechstage-Woche und mehr Wochenarbeitsstunden als heute. Nach einer noch niedrigeren Phase von 35-Stunden-Wochen pegelt sich unsere Woche mittlerweile bei etwa 40 Stunden ein. Wir können dennoch nicht die Gleichung aufstellen ,Wenn wir die Arbeitszeit reduzieren, geht es uns besser'."

Es geht ja nicht nur um die Arbeitszeit, sondern auch darum, was wir in ihr leisten. Ellwart bestätigt, dass die Arbeitsprozesse dichter geworden sind. Dennoch haben wir deshalb nicht automatisch alle mehr Stress.

"Wir sind abhängiger von Umwelteinflüssen. Ob unser Unternehmen funktioniert, hängt nicht mehr nur von den Firmen in der Umgebung ab. In den vergangenen 20 Jahren sind wir zu einer Informationswelt geworden, können die Konkurrenz weltweit beobachten. Das bringt einen Mehrwert, birgt aber auch eine Belastung." Er fasst Veränderungen durch globalisierte Wirtschaftsräume zusammen und ergänzt: "Aber es passiert ja nicht, dass wir alle miteinander umfallen und krank sind. Wir sind sogar gesünder als die Generation unserer Eltern und Großeltern. Wir rauchen weniger, wir wissen, dass wir uns bewegen müssen."

Er nennt weitere Risikofaktoren: "Wenn wir regelmäßig über einen längeren Zeitraum Überstunden machen, unsere Normarbeitszeit überziehen, macht das nachweislich krank." Es sei nicht gesund, abends immer wieder Firmen-Mails zu checken und zu verschicken, es störe die Erholungsphase. "Wir haben Erkenntnisse, dass im Durchschnitt die Qualität solcher Arbeitsergebnisse sogar nachlässt", berichtet der Wirtschaftspsychologe aus der Forschung.

Durch die neuen Medien sind wir flexibler geworden. Sie gestatten uns das Arbeiten zu Hause, sogenanntes Homeoffice, und verändern unsere Präsenzzeit in den Unternehmen. Aus der Work-Life-Balance-Forschung wisse man, laut Ellwart, dass die neuen Medien die Arbeitstage "defragmentieren". Es stelle sich ein zunehmendes "Verwachsen" des Arbeits- und des Privatbereichs heraus. "Diese Entgrenzung der Arbeit bedeutet einerseits ein Stressrisiko, andererseits ist es eine Chance für neue Arbeitsformen und wirtschaftliche Impulse."

Ellwart spricht vom Zusammenwirken verschiedener Stellschrauben und von den drei großen Betrachtungsebenen des Stresses:

1. Die Multikausalität,

- das bedeutet, dass Stress auf vielen Ebenen verursacht werden kann: in der Firma, den Teams, der Familie und auch durch die eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten ...

2. Objektive Faktoren, - wie Arbeitsanforderungen, -dichte und -belastung.

3. Subjektive Faktoren, - das sind wir, jeder für sich, mit seinem Empfinden.

An dieser Stelle wird das Modell des Professors spannend, weil wir diesen dritten Punkt des subjektiven Stress erlebens auch mit unseren Ansprüchen beeinflussen. "Bei den beiden ersten Faktoren handelt es sich um Istwerte", sagt er, "beim subjektiven Erleben dagegen wird auch der Sollwert bedeutsam, also unsere Bedürfnisse und Ziele."

Es ist ein variabler Wert, den wir selbst definieren: Wie hoch legen wir unsere innere Latte? Was verlangen wir selbst von uns? "Der Sollwert ergibt sich daraus, welche Motive wir haben, welche Dinge uns wichtig sind. Wenn unsere Eltern beispielsweise zehn Stunden am Tag im Bergbau tätig waren, haben wir andere Vorstellungen vom Sollwert und erleben den Arbeitstag anders, als wenn unsere Eltern dagegen viel Zeit hatten."

Beim Vergleich des Istzustandes und der Sollanforderung in unserem Kopf entstehe bei Diskrepanz Stress. Ellwart nennt das Beispiel Weihnachten: An Festtagen ist der Sollwert in den Familien sehr hoch geschraubt: Es soll schön, feierlich und harmonisch sein. Die Realität entspricht dann meistens nicht den Vorstellungen und es entsteht Stress.

In der variablen Größe unseres Empfindens, unseres Leistungsdenkens, unserer Einstellungen liegt laut Ellwart aber auch eine große Chance. Es geht um das berühmte halbvolle oder halbleere Wasserglas. Denn wir können durch Hinterfragen unserer inneren Einstellung einiges beeinflussen - und damit auch das, was unser Empfinden von Stress betrifft. Thomas Ellwart plädiert damit auch an unsere Eigenverantwortung und betont, dass dies natürlich nicht alles sein kann.

"Wenn wir Lösungen gegen Stress suchen, sollten wir unsere Sollwerte hinterfragen. Wir haben viele davon in unser Leben geholt, die informell sind, nie von irgendjemandem ausgesprochen worden sind. Wir neigen dazu, bei negativen Dingen schnell andere verantwortlich zu machen." Stattdessen sollte man Erwartungen an sich selbst und am Arbeitsplatz abklären. Er rät: "Klärt doch ab, wie erreichbar ihr sein wollt! Klärt ab, ob der Chef will, dass ihr abends E-Mails checkt! Klärt andere Regeln mit euren Teams! Sprecht über Stress!" Das setze natürlich auch ein gewisses Maß an Mut und Offenheit in den Unternehmen voraus.

Noch ein Unterschied zu früher nennt der Professor: "Unsere Eltern hatten wahrscheinlich andere Erwartungen und auch in ihrer Freizeit weniger Wahlmöglichkeiten." Menschen, die viel Zeit für sich, also eine hohe Me Time, haben, erleben laut Ellwart ein höheres Wohlempfinden. Aber eine hohe Ausprägung von Me Time kombiniert mit einem hohen Engagement in den Bereichen Arbeit und Familie führe wiederum zu einer Missbalance. Denn die vorhandene Zeit muss aufgeteilt werden, und das erzeuge Konflikte.

Thomas Ellwarts Fazit lautet: Es gibt kein Gut oder Schlecht. Stress entsteht aus einem Zusammenwirken vieler Faktoren. Es gibt "keine stressfreie Welt, genauso wenig wie es eine gesunde Welt gibt." Im Gegenteil: Wir brauchen zum Antrieb sogar ein gewisses Maß an Stress.

Er hält die aktuelle Burn-out-Debatte in diesem Zusammenhang nicht immer für hilfreich: "Wir belasten diesen Begriff derart, dass er mittlerweile auch zum Totschlagargument geworden ist. Es gibt keine einheitliche, allgemeingültige Definition. Burn-out ist keine Krankheit. Wir unterhalten uns meistens nur über die einzelnen Symptome", sagt er und fragt: "Wer ist nicht schon einmal erschöpft gewesen? Deshalb sind wir noch lange nicht alle krank."

Wenn wir schon von einer Erschöpfung wie von Volkskrankheit sprechen, verändern wir unsere gesellschaftlichen Sollwerte, sagt Thomas Ellwart und sieht darin sogar eine Gefahr. "Der hat für seinen Beruf so gebrannt, hat so leidenschaftlich gearbeitet, dass er jetzt ausgebrannt ist", das klinge wie eine Auszeichnung, als sei es ein Verdienst, krank zu sein. Statt Burn-out als eine neue Krankheit darzustellen, die über uns gekommen ist, sollten wir uns lieber fragen: "Welche inneren und äußeren Ursachen führen dazu, dass wir uns gehetzt fühlen - hier sollten wir ansetzen."

Treiben "wir Genussarbeiter" uns selbst an?

Wir sind es selbst, die uns hetzen und stressen. So ließe sich - stark verkürzt - die These der Berliner Philosophin Svenja Flaßpöhler auf den Punkt bringen: Unter dem Titel "Wir Genussarbeiter" fasst sie in ihrem Buch eine Entwicklung zusammen, die sich nach ihrer Meinung verstärkt in den vergangenen Jahrzehnten, aber schon seit zwei Jahrhunderten, "nämlich seit Beginn des bürgerlichen Zeitalters" vollzieht. "Seitdem der Mensch körperlich ruinöse Arbeit von Maschinen erledigen lässt, Zugang zu Bildung hat, seine Tätigkeit neigungsorientiert wählen kann und sich vornehmlich durch Leistung definiert, birgt die Arbeit ein Glücksversprechen, das andere Quellen der Lust in einem immer stärkeren Maße verdrängt." Und weiter: "Für uns Genussarbeiter ist der Genuss Arbeit und die Arbeit Genuss." Sie geht sogar so weit, dass die Arbeit heute den Sex verdrängt. "Keinen Kopf dafür", fasst sie zusammen. Wir sind dagegen hyperaktiv auch in der Freizeit - leisten unentwegt in unserer Leistungsgesellschaft.

Was uns in die Selbstausbeutung treibt, ist das Gefühl der Anerkennung oder das Hoffen darauf. Sie begründet diese These aus der Sicht des Psychoanalytikers Sigmund Freud, für den der Mensch kein in sich schlüssiges, autonomes transparentes System sei. Nein: Er ist " von Beginn an ein Mängelwesen" und auf die Anerkennung und die Liebe der anderen angewiesen. Die Sucht nach Anerkennung triebe uns demnach also dazu, auch am Wochenende erreichbar zu sein. Denn es könnte ja jemand noch erreichbarer sein als wir. Wir begehren die Anerkennung geradezu und lebten deshalb - weil sie nie restlos gestillt würde - mit einer gewissen Grundspannung. Zum Glück, wie Flaßpöhler schreibt, denn sonst hätten wir keinen Antrieb mehr. "Dass wir heute in einem Burn-out-Zeitalter leben, zeigt deutlich, wie übertrieben wir uns für den anderen verausgaben, wie fundamental gestört die gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnisse sind. Weil es in der Wettbewerbsgesellschaft primär um Erfolg geht und die Arbeit lediglich ein Mittel zum Zweck darstellt ...". In ihrem Schlusskapitel plädiert sie sozusagen für das Nichtstun. Andere fordern Verlangsamung, Entschleunigung, oder ein Innehalten. Sie schreibt: "Angezeigt ist im 21. Jahrhundert nicht mehr nur das Tun, sondern das Seinlassen." Oder wie sagt Hermann so treffend: "Ich möchte einfach nur hier sitzen."

Svenja Flaßpöhler: Wir Genussarbeiter. Über Freiheit und Zwang in der Leistungsgesellschaft. Deutsche Verlags-Anstalt, München, 203 Seiten, 17.99 Euro.

Extra

Was ist Burnout?
Der Begriff Burn-out wurde in der Literatur 1974 zum ersten Mal von dem deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger verwendet. Er kennzeichnet einen Zustand der geistigen und körperlichen Erschöpfung, ein "Ausgebranntsein". Das "Burn-out" ist zunächst im Zusammenhang mit helfenden Berufen wie Ärzten und Krankenpflegern verwendet worden, wird aber mittlerweile auf alle Berufsgruppen übertragen. Burn-out ist im Gegensatz zur Depression keine definierte, medizinisch anerkannte Gesundheitsstörung. Es wird auch vom Burn-out-Syndrom gesprochen, das oft als schleichender Prozess mit verschiedenen Symptomen einhergehen kann: Dazu gehören Rückzug von Berufsinteressen und den Kollegen, ein Gefühl der Sinnlosigkeit, Versagensängste, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen und körperliche Beschwerden (darunter Rücken- und Darmprobleme).

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