Gesellschaft

Zu den Krawallen in Großbritannien und den Folgen (der TV berichtete):

Meinung

Jeder nehme sich, was er kriege
Die Meinungsmacher verwechseln Ursache und Wirkung. Sie berichten von kriminellen Jugendbanden, die aus Zerstörungswut die englische Gesellschaft kaputt machen, und applaudieren denen, die nach voller Härte, nach dem Einsatz des Militärs rufen. Was sie verschweigen: Als 1974 im Gefolge des Ölpreisschocks die Nachkriegskonjunktur abrupt abbrach, begann eine Propaganda-Aktion, um den "überregulierenden Staat" - gemeint war die sozialdemokratische Umverteilungspolitik - dafür verantwortlich zu machen. Er lähme die Privatinitiative und ersticke das Wachstum. Das hatte Erfolg: 1979 kam Maggie Thatcher, die "Eiserne Lady", die die öffentliche Daseinsvorsorge privatisierte und die Gewerkschaften entmachtete. Ihr folgten in den USA Ronald Reagan, der Übervater der heutigen Neoliberalen, und 1982 in Deutschland Helmut Kohl. Öffentliches Eigentum, gerade jenes, das profitabel war, wurde privatisiert, Sozialpolitik zurückgefahren, Steuern für Wohlhabende und große Unternehmen ermäßigt oder abgeschafft. Die Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind seither gestiegen, die Reallöhne der abhängig Beschäftigten gesunken, die öffentlichen Schulden gewachsen. Wenn heute eine Million Kinder in Armut aufwachsen müssen, dann ist das ebenso skandalös wie ein über alle Maßen verschuldeter Staat, der seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Überall beginnen die Menschen, sich gegen diese Zumutungen zu wehren. Weitreichende Proteste werden in diesem Herbst auch die USA erschüttern, die Internierungslager sind bereits gebaut. Alle Sparmaßnahmen gehen auf Kosten der kleinen Leute, aber an Vermögens- oder Erbschaftssteuer, an die Steueroasen, die Abschreibungsmöglichkeiten für Reiche, will keiner ran. Sie haben die Regel durchgesetzt, dass jeder sich nehme, was er kriegen kann. Jetzt nennen sie kriminell, wenn das auch von einigen wenigen Armen verstanden wird. Unsere Welt, unsere Zukunft werden verspekuliert und der Staat verschiebt die Lasten auf Kinder und Enkel. Wer so vorgeht, der sät die Aufstände von morgen. Bernd Hamm, Korlingen

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