Verirrte Gammler

Niemals nachlassen: Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen, rät Albert Einstein allen, die nach Wissen dürsten. Die Welt dreht sich, dreht sich, dreht sich immer weiter.

Drei Dinge, die ich diese Woche gelernt habe, zwei davon belegen den (Sprach)Wandel, das dritte belegt, dass früher nicht alles besser war:Erstens, steht im Duden: Taliban. Der Taliban, Singular. Die Taliban, Plural. Nach Hinweisen, es müsste korrekt Talib heißen, wenn ein einzelner Mensch gemeint sei (danke, Eberhard Hoos, danke Friedhelm Weinand, derzeit in Afghanistan), habe ich ein bisschen geforscht. In der paschtunischen Sprache bedeutet Talib: Erkenntnissuchender, und: radikaler islamischer Kämpfer. Taliban = mehrere Talibs. Seit die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt wird, finden sich die Paschtu-Vokabeln in unserem Wortschatz. Talib wird selten verwendet, der gängige Begriff ist Taliban. Meist Plural, empfiehlt die aktuelle 26. Auflage des Rechtschreib-Dudens (2013), genehmigt aber auch den Singular. Die Online-Ausgabe (Stand: heute) signalisiert: Erlaubt ist, was gefällt, Einzahl oder Mehrzahl, nach Bedarf. Ein Beispiel dafür, wie Wörter sich verändern. In der 25. Auflage des Standardwerks (2009) tauchen die Taliban nur im Plural auf. Vor einem Vierteljahrhundert kannte sie kaum ein Deutscher - kein Eintrag im Duden, 20. Auflage (1991). Zweitens, steht nicht im Duden: aufschlauen. Managersprech: Ich schlaue mich auf. Übersetzt: Hab' keine Ahnung, muss mal googeln. Sagt zum Beispiel der oberwichtige Head of Intergalactic Conspiracy bei Ditschitell Enterprises, voll im Flow und total busy, ganz viele To-dos auf der Liste, zwischen Quick Lunch und dem nächsten Conference Call ... creepy!Drittens, zum Brüllen komisch: ein Fundstück aus dem Jahr 1971 (danke, Prof. Matschke). Es handelt sich um einen Beschwerdebrief des ersten Sekretärs des VEB Steinkohlenwerks Martin Hoop Zwickau an den "verehrten Genossen Rektor" der Universität Greifswald. Anlass: das skandalöse Outfit einiger Studenten bei der "Befahrung einer Grube": "Wir müssen Ihnen mitteilen, dass das äußere Bild der Mehrzahl dieser jungen Menschen schockierend auf die Werktätigen [...] wirkte. Desto größer war die Empörung [...], als bekannt wurde, dass diese jungen Menschen nicht etwa verirrte Gammler, sondern Studenten der Universität Greifswald sind. Dass derartige Haarmähnen und wildsprießende Bärte zum Habitus des Studenten einer sozialistischen Hochschule gehören, ist für die Werktätigen […] völlig unverständlich. [...] Wir können Ihnen versichern, dass infolge konsequenter Erziehungsarbeit kein einziger der 6000 Belegschaftsangehörigen unseres Werkes derart verwildert herumläuft wie diese Ihre Studenten." Noch Fragen? Fragen!Herzliche Grüße!Peter ReinhartStellvertretender ChefredakteurE-Mail: forum@volksfreund.deMehr Kolumnen im Internet: <%LINK auto="true" href="http://forum.blog.volksfreund.de" text="forum.blog.volksfreund.de" class="more"%>

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