Übung macht keine Meister

Als ich Mitte 20 war, wollte ich einen alten Traum verwirklichen: Ich lernte Gitarre. Mein Ehrgeiz konnte sich sehen lassen: Ich übte Akkorde, studierte Takte, zupfte Melodien, bis die Fingerkuppen wund waren. Ob Winter oder Sommer: Jeden Tag übte ich eineinhalb Stunden. Zwei Jahre lang. Doch hat die Übung mich zum Meister gemacht? Weit gefehlt.

 TV-Kolumnist Martin Wehrle.

TV-Kolumnist Martin Wehrle.

Foto: privat

Noch heute, 15 Jahre später, ist mein Gitarrenspiel nur entfernt mit Musik verwandt. Und wenn man mich Slow Hand nennt, dann aus ganz anderen Gründen als Eric Clapton.

Übung macht keine Meister, nicht in der Musik, nicht im Beruf; sie macht bestenfalls Handwerker. Wer mit Ausdauer übt, kann ein passabler Anlageberater, aber kein Warren Buffett werden; ein brauchbarer Ingenieur, aber kein Gottlieb Daimler; ein ordentlicher Journalist, aber kein Kurt Tucholsky.

Mit der Übung ist es wie mit dem Regen: Entscheidend ist der Boden, auf den sie fällt. Nur wo ein meisterliches Talent schlummert, kann sie es zur Blüte bringen. Wie schnell das Üben bei Talenten anschlägt, beweist ein Blick auf wahre Meister.

Ob Sie Wolfgang Amadeus Mozart oder Bill Gates nehmen: Beide handelten schon in einem Alter meisterlich - Mozart als Kind, Gates als Jugendlicher -, ehe sie ausführlich hätten üben können. Später stockten sie die vorhandenen Talente lediglich durch Üben auf.

Trainieren Sie das, was Ihnen liegt! Machen Sie dort, wo Sie schon gut sind, so lange weiter, bis Ihnen niemand mehr etwas vormacht! Ich zum Beispiel habe eines Tages die Gitarre wieder gegen mein Lieblingsinstrument eingetauscht: den Bleistift. Gleich einer der ersten Liedtexte, die ich schrieb, brachte es bis in die Hitparade.

Unser Kolumnist Martin Wehrle (geboren 1970) gehört zu den erfolgreichsten Karriereberatern in Deutschland. Sein aktuelles Buch: "Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus", Econ, 14,99 Euro.

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