Aufruhr jenseits des Zauns

Unsere Reporterin hat einen Tag am wohl letzten Ort verbracht, an dem in Deutschland Atomwaffen gelagert werden. Zusammen mit 2000 Demonstranten, hunderten Polizisten und zwei Dutzend Menschen, die fest entschlossen waren, einen überaus wehrhaften Zaun zu überwinden.

 Demonstration gegen Atomwaffen: 2000 Menschen protestierten vor dem Fliegerhorst in Büchel. TV-Foto: Katahrina Hammermann

Demonstration gegen Atomwaffen: 2000 Menschen protestierten vor dem Fliegerhorst in Büchel. TV-Foto: Katahrina Hammermann

Büchel. Der Zaun wäre eigentlich Zaun genug. Zwei Meter hoch, oben mit Stacheldraht und dahinter mit drei übereinander liegenden Rollen Nato-Draht bewehrt. Schon ganz ohne die Hunderte von Polizisten und Soldaten wäre es überaus schwierig, ihn zu überwinden. Schwierig und gefährlich. Doch in dieser Situation scheint es ganz unmöglich. Oben zieht vor der gleißenden Sonne ein Polizeihubschrauber seine Runden. Unten marschieren etwa 2000 Demonstranten in einer langen Schlange Fahnen schwenkend, Transparente tragend, schwitzend am Zaun des Fliegerhorstes Büchel entlang - dem, wie allgemein angenommen wird, letzten Ort auf deutschem Boden, wo Atombomben lagern.

Junge, Alte, Clowns, Lehrer, Hippies und Doktoren.



Die Demonstranten sind gekommen, weil sie wollen, dass sämtliche Atombomben aus Deutschland verschwinden, dass Atombomben überhaupt aus den Köpfen und aus den Munitionslagern verschwinden und diese Welt friedlicher wird. Junge, Alte, als Clowns Verkleidete, Lehrer, Hippies und Doktoren.

Einige von ihnen haben den Plan gefasst, über den Zaun zu steigen. Wie sie sagen, um politischen Druck gegen die Waffen zu erzeugen, deren Sprengkraft die der über Hiroshima abgeworfenen Bombe um ein Vielfaches überschreiten soll. Doch zwischen ihnen und ihrer freiwilligen Verhaftung auf der anderen Seite des Zauns stehen zahlreiche Uniformierte.

"Ihr da lasst das Gaffen sein, kommt hierher und reiht euch ein", ruft ein Plakatträger. Keine Reaktion. "Viele von denen würden wirklich lieber mit uns mitlaufen", sagt ein vielleicht 50-jähriger Mann mit "No war"-Schild. Seine Begleiterin nickt. Und schaut mitleidig. In den Uniformen muss es unerträglich heiß sein.

In der "Polizei-Zentrale" vor dem Haupttor des Fliegerhorstes ist man derweil zufrieden mit der Situation. "Wir sind schon seit einer Woche hier und es ist alles sehr friedlich", sagt Dietmar Braun, Pressesprecher der Polizei.

Auch Xante Hall, Sprecherin der Atomwaffengegner, ist zufrieden. Atomwaffen seien als Thema nicht sehr beliebt, sagt sie. 2000 Menschen im entlegenen Büchel zusammenzubekommen sei daher eine Leistung. Die Demonstranten kommen aus ganz Deutschland und aus verschiedenen europäischen Ländern.

Auch einige Promis sind angereist, darunter Nina Hagen, die am Abend ein Benefiz-Konzert gibt - und tagsüber Interviews. Nach protestierenden Plakatträgern und der Polizei ist die Presse nämlich die drittstärkste Gruppe, gefolgt von Politikern und Promis. Auch ein bekannter Psychoanalytiker ist da: Horst-Eberhard Richter. Während seine Zuhörer sich im raren Schatten drängen, stellt er mit brüchiger Stimme eine Forsa-Umfrage vor, derzufolge 84 Prozent der deutschen Bevölkerung der Meinung sind, dass die Bundesregierung umgehend für die Beseitigung der Atomwaffen sorgen sollte, die auf deutschem Boden zum Einsatz durch Bundeswehr-Tornados bereit liegen. Bald darauf erklärt ein Anwalt von der Vereinigung "JuristInnen gegen Atomwaffen", dass diese Waffen sowohl gegen das Völkerrecht als auch gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes verstoßen. Und dennoch ist noch immer niemand über den Zaun gestiegen.

Das geschieht erst ein wenig später. Die ersten, die es versuchen, sind sieben Belgier und das Unwahrscheinliche tritt ein: Drei von ihnen schaffen es tatsächlich. Drinnen angekommen lassen sie sich verhaften. "Kein Widerstand. Alles friedlich", sagt die Polizei. Dennoch wird ihr Ausflug wohl mit einer Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs enden. Insgesamt versuchen bis zum frühen Abend etwa zwei Dutzend Demonstranten, sich dem Zaun zu nähern - mit Bolzenschneider, Kneifzange und klopfendem Herzen. Auch sie werden friedlich festgenommen.

Meinung

Nicht hier und nirgends sonst

Die Demonstranten haben Recht. Wer sich das Leid vor Augen ruft, das diese eine Atombombe in Hiroshima ausgelöst hat, der kann nicht wollen, dass 20 solcher Waffen gleich nebenan gelagert werden - unter Kampfjets montiert und bereit, abgeworfen zu werden. Solche Waffen dürfte es überhaupt nicht geben. Nicht hier und nirgendwo sonst. k.hammermann@volksfreund.de

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