Bayerisch und trocken

BERLIN. Der neue Regierungssprecher Ulrich Wilhelm hat gestern sein Amt angetreten. Nur wenige seiner Vorgänger im Amt haben Spuren hinterlassen.

Die Sprache: Bayerisch. Sein erstes Thema: ziemlich trocken, "Verlustrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen" - auf gut Deutsch, das neue Bundeskabinett hat Steuersparmodelle eingeschränkt. Das Interesse an solchen Inhalten war bei den Berliner Journalisten gestern zwar nicht sonderlich hoch, dennoch herrschte ungewohnt großer Andrang in der Regierungspressekonferenz. Die meisten wollten nämlich den neuen Regierungssprecher sehen - und vor allem hören: Ulrich Wilhelm, der als Sprachrohr von Bundeskanzlerin Angela Merkel seinen ersten Auftritt hatte. Und so manch einer lauerte dabei vermutlich auf einen Patzer des blonden, smarten 44-Jährigen, der zwölf Jahre lang an der Seite des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber diente. Um es vorweg zu nehmen, Wilhelm redete sich nicht um Kopf und Kragen. Medienprofi Wilhelm ließ sich nicht aufs Glatteis führen, und er zeigte, dass er die regierungsamtliche Sprachakrobatik perfekt beherrscht. Gelernt ist schließlich gelernt. Von 1998 bis zum Herbst 2003 war der Journalist und Jurist bayerischer Regierungssprecher, danach wechselte er ins Wissenschaftsministerium des Freistaats. Seine enge Zusammenarbeit mit Angela Merkel ergab sich aus Edmund Stoibers Kanzlerkandidatur 2002 - und nun ist er die "Zunge" der Regierungschefin. Seit 1949 haben mehr als 20 "Verkäufer des Kanzlers" versucht, ihre Spuren im Politik- und Medienbetrieb zu hinterlassen. Nur wenigen gelang dies - negativ, wie im Falle Hauser, oder positiv, wie Regierungssprecher Conrad Ahlers (1969-72), der unter Willy Brandt die Innen- und Außenpolitik in einer überaus historischen Phase gekonnt interpretierte und mitformte. Oder wie Klaus Bölling (1974-80 und 1982), der unter Helmut Schmidt im heißen Herbst des RAF-Terrorismus wochenlang in der Öffentlichkeit stand. Wenn Klaus Bölling aus dem Kanzleramt berichtete, erweckte er gern den Eindruck, als habe er soeben tief bewegt eine Kathedrale verlassen, unken jene, die ihn noch in Amt und Würden erlebt haben. Heute geht es lässiger zu. Bölling gilt als der letzte Regierungssprecher, der wirklich eingeweiht war in das, was der Kanzler über die Weltläufe dachte. Peter Boenisch (1983-85) galt als ähnlicher politischer Charakterkopf. Bönisch war der zweite von insgesamt sieben Sprechern des CDU-Kanzlers Helmut Kohl. Welche Rolle Wilhelm einnehmen wird? Abwarten. Eines wird auch er wissen, wer als Journalist die Seite wechselt, hat kaum Chancen auf einen Rückweg.

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