Besuch bei "Tante Renate"

BERLIN. Die Bundesregierung hat am Mittwoch einen "Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland" beschlossen. Damit solle Deutschland bis zum Jahr 2010 zu einem der kinderfreundlichsten Länder Europas werden, erklärte Familienministerin Renate Schmidt (SPD) in Berlin.

Renate Schmidt könnte in nächsterZeit zu einer viel gefragten Person werden. Seit gestern hat die Republik nämlich ein eigenes "kinder-ministerium". Unter der gleichnamigen Adresse im Internet sollen sich die Jüngeren surfend für die große Politik begeistern. "Besucht mich doch in meinem Arbeitszimmer", lockt eine lustig gezeichnete Renate Schmidt. Der virtuelle Briefkasten ist für Anregungen der Nutzer gedacht. Ein weiterer Link informiert über Kinderrechte und internationale Anstrengungen für ihre Umsetzung. Die wahre Kinderwelt ist dann auch weniger bunt und heil. Das hat die Ministerin ebenfalls schon häufiger deutlich gemacht. Pünktlich zur Eröffnung des "Kinder-Ministeriums" verabschiedete das Bundeskabinett deshalb einen "Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland", mit dessen Hilfe die Republik bis zum Jahr 2010 in die europäische Spitzengruppe der kinderfreundlichen Nationen aufrücken soll. "Im Moment sind wir noch an der unteren Skala", konstatierte die SPD-Politikerin. Und auch sonst klang ihr Befund einmal mehr ernüchternd: Erschreckend sei, "dass Menschen Kinderlärm teilweise mehr stört als Verkehrslärm". Selbst mit einer "mannshohen Dogge" bekäme man eher eine Wohnung als mit zwei kleinen Sprösslingen. "Dieses Land ist Kinder nicht mehr gewöhnt, klagte Schmidt. Der dringend notwendige Mentalitätswechsel lässt sich natürlich nicht mit einem Gesetz stemmen. Vielmehr braucht es eine Fülle von Maßnahmen in sämtlichen Politikbereichen. Der rund 100 Seiten umfassende "Aktionsplan", an dessen Erarbeitung sich auch Kinder und Jugendliche beteiligt hatten, enthält dazu eine Bestandsaufnahme sowie sechs Handlungsfelder, an denen sich Politik und Gesellschaft in den nächsten Jahren orientieren sollen. Die Felder reichen von der Chancengerechtigkeit durch Bildung über ein Aufwachsen ohne Gewalt bis zur Förderung einer gesunden Lebensweise und einem angemessenen Lebensstandard. Das Papier geht auf den zweiten UN-Weltkindergipfel zurück, der vor drei Jahren in New York stattfand. Dort hatten sich die Teilnehmerstaaten zu einer weltweiten Verbesserung der Lebenssituation von Kindern verpflichtet. Beunruhigend sei, "dass Bildungs- und damit Lebenschancen in Deutschland wie in kaum einem anderen Land von der sozialen Herkunft abhängig sind", heißt es in der Bestandsaufnahme kritisch. Ministerin Schmidt setzt deshalb auf eine pädagogische Förderung schon im Kindergartenalter sowie auf eine umfassendere Ausbildung von Erziehern. Das Problemfeld "Gewalt durch Vernachlässigung des Kindes" soll ebenfalls stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit rücken. Zum Abbau der Kinderarmut setzt Schmidt auf eine Weiterentwicklung des Kinderzuschlags. Die Anfang 2005 eingeführte Maßnahme soll den Bezug von Arbeitslosengeld II verhindern helfen. Gegenwärtig sind rund 1,1 Millionen Kinder auf staatliche Sozialtransfers angewiesen. Die Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages, Ekin Deligöz (Grüne), sprach gegenüber unserer Zeitung von einem "sehr ehrgeizigen und mutigen Plan". So sei zum Beispiel auch vorgesehen, dass Flüchtlingskinder bis 17 Jahre ohne Eltern in Jugendeinrichtungen unterkommen sollen, anstatt wie bisher in den Auffanglagern für Erwachsene. Auch bei der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung (GEW) fand das Papier ein positives Echo.

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