De Maiziere läutet die Terror-Alarmglocke

Berlin · Ernst, getragen, entschlossen. Mit fester Stimme hat Innenminister Thomas de Maizière gestern Mittag im Berliner Innenministerium vorgetragen, was viele Bundesbürger die Autoradios lauter drehen lässt: "Es gibt konkrete Ermittlungsansätze, es gibt konkrete Spuren, die auf einen Anschlag in Deutschland hindeuten".

 Schon sichtbar: Die Polizei schützt verstärkt gefährdete Objekte – hier gestern Abend den Trierer Hauptbahnhof. TV-Foto: Klaus Kimmling

Schon sichtbar: Die Polizei schützt verstärkt gefährdete Objekte – hier gestern Abend den Trierer Hauptbahnhof. TV-Foto: Klaus Kimmling

Der CDU-Politiker wurde noch deutlicher: Als Zeitraum nannte er Ende November. Die Ankündigung elektrisierte umso mehr, als sich de Maizière bisher mit Warnungen vor Anschlägen sehr zurückgehalten hatte. Nun scheint es wirklich ernst zu sein.Schon gestern wurde überall in Deutschland die Polizeipräsenz an neuralgischen Punkten wie Bahnhöfen, Flughäfen und zentralen Plätzen erhöht. "Die Bürger werden das sehen können, neben den vielen Maßnahmen, die sie nicht sehen können", sagte de Maizière. Allerdings suchte der Minister die Menschen auch zu beruhigen. "Es gibt Anlass zur Sorge, es gibt keinen Anlass zur Hysterie". Die Polizei sei gut vorbereitet.

Entschieden wurde das Vorgehen am Dienstagabend, als de Maizière vom Karlsruher CDU-Parteitag zurückgekehrt war und in seinem Ministerium die Chefs von Sicherheitsdiensten, Bundespolizei, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt sowie seine wichtigsten Mitarbeiter zusammenrief. Noch einmal wurden alle Informationen zusammengefasst, die eine "neue Lage" begründen. Dann wurde in der Nacht die Kanzlerin informiert.

Deutschland unterliegt seit langem einer ständigen Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Diese Drohungen werden immer wieder geäußert, zuletzt 2009 im Bundestagswahlkampf mit mehreren Videobotschaften. Im letzten Sommer haben sich laut de Maizière die Hinweise auf bevorstehende Anschläge in den USA und Europa, darunter auch Deutschland, verstärkt. Die nach Tipps des saudischen Geheimdienstes gescheiterten Anschläge auf Frachtflugzeuge im Oktober zeigten laut Innenminister dann, "dass die Täter anpassungsfähig und beharrlich sind". Entscheidend für den gestrigen Alarmruf aber waren neben einem konkreten Hinweis "eines ausländischen Partnerdienstes" eigene Erkenntnisse, die das Bundeskriminalamt "unabhängig" davon gewonnen hat. Einzelheiten dazu wurden nicht mitgeteilt. Nach Informationen des Berliner "Tagesspiegel" besagen diese Hinweise, dass eine Gruppe von zwei bis vier Terroristen, die ursprünglich aus Berlin stammen, auf dem Weg von Pakistan nach Europa ist, um dort einen großen Anschlag zu verüben. Möglicherweise nach dem Vorbild von Bombay, wo ein Kommando in Hotels und auf einem Bahnhof über 160 Menschen getötet hatte.

Seit längerem gehen die Behörden davon aus, dass mehr als 200 Islamisten aus Deutschland in ausländischen Terrorcamps ausgebildet worden sind. Etwa die Hälfte soll sich nun wieder in der Bundesrepublik aufhalten. Offenbar um ein weiteres Einsickern zu verhindern, sollen auch die Außengrenzen stärker kontrolliert werden, wurde gestern angekündigt. Räumlich ist die Bedrohung offenbar nicht begrenzt. "Ganz Deutschland" sei im Visier, sagte de Maizière.

Von der Opposition erhielt der Minister Unterstützung für sein Vorgehen. Bund und Länder seien gemeinsam zu der Einschätzung gelangt, dass "wir es gegenwärtig mit einer qualitativ neuen Bedrohungssituation zu tun haben", erklärte der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch (SPD). Am Berliner Hauptbahnhof und am Frankfurter Flughafen waren gestern schon mehr bewaffnete Polizeistreifen als sonst zu sehen.

Andere Länder wollen auch mit Zivilstreifen ihre Kontrollen verstärken, auch auf Weihnachtsmärkten.

SPD-Vize Olaf Scholz sicherte der Bundesregierung die Zusammenarbeit seiner Partei bei den notwendigen Maßnahmen zu. "Die neue Bedrohungslage muss ernst genommen werden", sagte Scholz.

Chronologie

Deutschland im Visier von Terroristen

November 2010: Nach monatelangen Observationen wird im saarländischen Neunkirchen der gebürtige Kameruner Kevin S. festgenommen. Er wollte sein großes Vorbild, den Islamisten Daniel Schneider (Sauerland-Gruppe), aus dem Gefängnis freipressen und drohte mit Bomben.

Oktober 2010: Ein deutscher Terrorhelfer wird in Frankfurt zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Er hatte die Islamische Dschihad Union (IJU) unterstützt.

Juli 2010: In Rheinland-Pfalz wird ein mutmaßlicher Al-Kaida-Terrorhelfer festgenommen. Vorwurf: Mitgliederwerbung für Terror-Vereinigungen im Internet.

März 2010: Vier Mitglieder der islamistischen Sauerland-Gruppe müssen wegen der Planung von Terroranschlägen auf Diskotheken, Flughäfen und US-Einrichtungen in Deutschland für bis zu zwölf Jahre ins Gefängnis.

Februar 2010: In Berlin und Ulm werden drei mutmaßliche Terrorhelfer festgenommen. Sie sollen die Terrorgruppe Islamische Dschihad Union (IJU) unterstützt haben.

Februar 2010: Bei einer Razzia gegen die islamistische Szene durchsucht die Polizei 43 Räume in fünf Bundesländern. Drei Männer werden festgenommen.

September 2009: Mit Drohungen gegen Deutschland melden sich das Terror-Netzwerk Al Kaida und die afghanischen Taliban vor der Bundestagswahl im Internet zu Wort. Von Mitte September bis Anfang Oktober tauchen knapp zehn Videos auf, die direkt und indirekt gegen Deutschland gerichtet sind.

Juli 2009: Ein deutscher Terrorhelfer der islamistischen Al Kaida wird wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Koblenz zu acht Jahren Haft verurteilt.

April 2009: Islamisten bedrohen mit einem Aufruf im Internet Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und die dialogbereiten Mitglieder der von ihm initiierten Islam-Konferenz.

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