Regierungsbildung Eine mühsame Einigung und heftige politische Beben

Berlin · Über 24 Stunden dauern die Verhandlungen, dann steht der Groko-Vertrag. Wird Schulz Außenminister ohne Macht? Die SPD startet die Urabstimmung.

 Geschafft! Angela Merkel (Zweite von links) und ihre Mitarbeiter verlassen nach der Vereinbarung des Kolaitionsvertrags mit der SPD das Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.

Geschafft! Angela Merkel (Zweite von links) und ihre Mitarbeiter verlassen nach der Vereinbarung des Kolaitionsvertrags mit der SPD das Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.

Foto: dpa/Annegret Hilse

Um zehn Uhr am Mittwoch kommt nach durchverhandelter Nacht endlich die ersehnte Nachricht: Der Groko-Vertrag steht. Zwei Stunden später folgen politische Beben, die das neue Regierungsprogramm fast nebensächlich erscheinen lassen: Martin Schulz möchte den SPD-Vorsitz abgeben, dafür aber Außenminister werden. Sigmar Gabriel muss gehen, Andrea Nahles und Olaf Scholz werden die neue Macht in der SPD. Die Union verliert Thomas de Maizière. Große Karrieren enden, neue beginnen – allerdings nur, wenn die SPD-Basis dem Ganzen zustimmt. Sie hat nun drei Wochen Zeit, über das Verhandlungsergebnis zu entscheiden.

„Eine sehr gute Koalitionsvereinbarung“, sagt Schulz. „Jetzt gilt es, für diesen Vertrag zu werben“, sagt Angela Merkel. Wie schon beim Finale der Sondierungen vor drei Wochen brauchten die Spitzen von CDU, CSU und SPD erneut 24 Stunden, ehe sie es endlich geschafft hatten. In allen Streitpunkten fand man in der Nacht Kompromisse, die zum Teil allerdings etwas formelhaft ausfielen. So soll es in Sachen gemeinsame Honorarordnung der Ärzte eine Kommission geben; die Möglichkeiten, Arbeitsverträge zu befristen, werden mit komplizierten Bestimmungen eingeschränkt.

Am härtesten wurde über die Ressortverteilung gerungen, bei der die SPD mehr herausholte, als sie vorher wohl selbst geglaubt hatte. Finanzen, Außen und Arbeit, das sind drei Großministerien. Dazu noch Justiz, Familie und Umwelt. Das darf als bewusstes Entgegenkommen der Union gewertet werden, damit es bei der anstehenden Mitgliederabstimmung in der SPD leichter wird. Schon in dieser Woche bekommen die 463 000 Genossen die Unterlagen zugesandt; in drei Wochen wird klar sein, ob die neue Groko, die vierte in der Geschichte der Bundesrepublik, kommt oder nicht. Es wird ein knappes Ergebnis erwartet.

In und vor der CDU-Zentrale gab es wieder Szenen, an die man sich in der Hauptstadt seit der Bundestagswahl vor einem halben Jahr schon gewöhnt hat. Frierende Journalisten vor Verhandlungsräumen, Berge von Pappbechern und Pizzakartons in der Vorhalle. Die ganze Nacht lang warten. Ab und zu kam oder ging jemand,  und man konnte Sprüche einfangen wie den des CDU-Politikers Jens Spahn: „Einige fliegen zum Mars, wir machen Groko. Beides dauert.“ Nicht jeder Kameramann mochte darüber lachen. Dann aber wurden die SMS-Mitteilungen aus den Verhandlungssälen plötzlich mehr und konkreter: „Durchbruch bei der Ressortverteilung“ oder „Es ist im Prinzip gelaufen“. Um 10.32 Uhr verließ Angela Merkel mit ihrer kleinen Kolonne die Tiefgarage des Konrad-Adenauer-Hauses und rauschte in Richtung ihrer Wohnung an der Museumsinsel – um sich eine Mütze Schlaf zu holen und sich für die späteren Pressekonferenzen frisch zu machen.

„Müde, aber zufrieden“ stand unter einem Selfie, das SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zur gleichen Zeit twitterte. Hinter sich die SPD-Führung. Fraktionschefin Andrea Nahles und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz im Vordergrund, Schulz verdeckt, Gabriel gar nicht auf dem Bild. Das ist die neue Machtordnung der Sozialdemokraten. Nahles soll Schulz als Parteichefin folgen und würde, falls die Gremien zustimmen, mit dieser Doppelfunktion klar die starke Frau in der Partei. Scholz soll Vizekanzler und Finanzminister werden, also der starke Mann in der Regierung. Schulz bescheidet sich mit dem Außenamt. Das hat jetzt Sigmar Gabriel inne, der den ganzen Tag schwieg.

Hingegen wich Innenminister Thomas de Maizière, lange ein Hoffnungsträger der CDU, den Kameras nicht aus. Er habe immer gewusst, sagte er mit deutlicher Wehmut in der Stimme, dass das ein Amt auf Zeit sei, nun sei die Zeit eben gekommen. „Ich bin stolz und dankbar, dass ich in drei schweren Ressorts diesem Land dienen durfte.“ Zuletzt als Innenminister, doch das wird – eine der vielen Sensationen dieses Tages – CSU-Parteichef Horst Seehofer. Die Christsozialen hatten zwar stattdessen Arbeit und Soziales gewollt. Aber nicht alle Wünsche wurden wahr in dieser Nacht.

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