Erschreckende Zahlen

WASHINGTON. Einer gestern erstmals im Internet veröffentlichten Studie von US-Wissenschaftlern zufolge sind bis heute im Irak rund 655 000 Menschen an den Kriegsfolgen gestorben. Diese Zahl liegt deutlich höher als alle anderen vorliegenden Zählungen, Schätzungen und Hochrechnungen.

"Heute sterben im Irak pro Tag dreimal soviel Menschen wie vor Beginn der Invasion", bilanzierte jetzt der federführende Autor der Untersuchung, Gilbert Burnham von der Johns Hopkins School of Public Health. Eine andere Studie der privaten Organisation "Iraq Body Count" ("Leichenzählung im Irak") war bisher von "mindestens 43 850 und höchstens 48 693 getöteten Zivilisten" ausgegangen und hatte sich bei dieser Berechnung vor allem auf die Auswertung von Medienberichten über Todesopfer gestützt. Die nun veröffentlichte Untersuchung - finanziert vom renommierten Technologie-Institut Massachussetts (MIT) und veröffentlicht auf der Internetseite des Medizin-Fachmagazins "The Lancet" - basiert auf 50 so genannten "Schwerpunktbereichen" in 16 irakischen Regionen. In jedem Bereich seien von Mai bis Juli dieses Jahren rund 40 Haushalte auf Todesfälle untersucht worden, so Burnham. Insgesamt seien Daten aus 1849 Haushalten ausgewertet worden, zu denen 12 801 Menschen gehört hätten. Die Ergebnisse seien dann auf den gesamten Irak hochgerechnet worden und mit Zahlen aus der Zeit vor der Invasion verglichen worden. Die Befragten hätten für 31 Prozent der dabei erfassten Todesfälle die US-Truppen und ihre Verbündeten direkt verantwortlich gemacht. Als häufigste Todesursache wurden Gewehrfeuer und Bomben genannt. Außerdem spielten heute Explosionen eine zunehmende Rolle bei den Todesursachen. In die Studie wurden aber auch Sterbefälle durch Erkrankungen wie Herzprobleme oder Krebs aufgenommen, weil die Wissenschaftler die Ansicht vertreten, dass aufgrund der Verschlechterungen im irakischen Gesundheitswesen und die Flucht vieler Mediziner ins sichere Ausland auch diese Zahlen im Zusammenhang mit dem Krieg gesehen werden sollten. Die US-Regierung führt eigenen Angaben zufolge keine Statistik über Todesfälle im Irak, die den Kriegsfolgen zugeschrieben werden können. Im Verteidigungsministerium gibt es allerdings eine Untersuchung, der zufolge zwischen Mai 2005 und Juni 2006 pro Tag durchschnittlich 117 Zivilisten eines gewaltsamen Todes gestorben sind. Die amerikanischen Militärs stützen sich bei dieser Zahl auf dokumentierte Vorgänge, bei denen Koalitionstruppen anwesend waren oder zu denen sie später hinzugerufen wurden. Nicht erfasst sind dabei beispielsweise jene Todesfälle, die auf den zunehmenden Gewalttaten zwischen Schiiten und Sunniten beruhen und bei denen keine US-Truppen vor Ort waren.

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