"Jeder Fall ist anders": EU-Kommisar Andor zur Debatte um Sozialleistungen für arbeitslose EU-Ausländer

Brüssel · EU-Sozialkommissar Laszlo Andor will im Streit um Armutszuwanderung keine Gesetze ändern. "Es gibt klare Schutzklauseln im EU-Recht, um Menschen am Missbrauch der Sozialsysteme in anderen EU-Staaten zu hindern", sagte er am Montag in Brüssel.

Brüssel. Laszlo Andor, Sozialkommissar der EU, hat am Montag in Brüssel ein Handbuch vorgestellt, das es nationalen Behörden erleichtern soll, Sozialmissbrauch zu entdecken. "Ich glaube, dass wir von unserer Seite unser Äußerstes tun, um klarzustellen, (...) wie man auf der Grundlage bestehender EU-Gesetze gegen Betrug und Missbrauch vorgehen kann", so der Ungar.
Zugleich bekräftigte der Kommissar, dass Deutschland arbeitslosen EU-Ausländern nicht - wie bisher - pauschal Sozialleistungen verweigern darf, sondern eine Einzelfallprüfung erfolgen müsse. "Jeder Fall ist anders", unterstrich Andor.
Eine entsprechende Stellungnahme der EU-Exekutive zu einem EuGH-Fall, in dem eine in Deutschland lebende, arbeitslose Rumänin Anspruch auf Hartz IV erhebt, hatte Ende vergangener Woche in Deutschland für heftige Kritik an der EU gesorgt. CSU-Chef Horst Seehofer und Unions-Fraktionschef Volker Kauder nannten die Ausführungen lebensfremd und "völlig inakzeptabel". Bei Angestellten und Selbstständigen ist der Fall klar: sie haben auch als EU-Ausländer in dem Mitgliedstaat Anspruch auf Sozialleistungen, in dem sie leben. Anders sieht das bei EU-Bürgern aus, die nicht arbeiten - hier ist der EU-Staat zuständig, in dem sie ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" haben - also das Hauptwohnsitzland.Motive und Absichten


In dem Handbuch, das in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten geschrieben wurde, wird dargelegt, wie der "gewöhnliche Aufenthaltsort" eines EU-Bürgers bestimmt werden kann. Zu berücksichtigen sind unter anderem familiäre Verhältnisse und Bindungen, Dauer und Kontinuität des Aufenthalts, die Art und Dauer einer Erwerbstätigkeit, die Wohnsituation sowie die Frage, in welchem Land der Antragsteller seine Steuern zahlt. Wichtig ist auch, ob der Migrant seine Wohnung im Herkunftsland aufgelöst hat und welche "Motive und Absichten" er selbst zu erkennen gibt.
Andor betonte, dass die EU-Staaten Aufenthaltsrecht und Sozialleistungen für EU-Migranten von ihrem Erfolg bei der Arbeitssuche abhängig machen können. "Es gibt keinen Automatismus, dass jemand nach sechs Monaten ein Recht auf einen Wohnsitz erhält." Sprich: der Betroffene kann ausgewiesen werden, wenn er nicht über ausreichend Einkünfte für den Lebensunterhalt verfügt.
Der Sozialkommissar nannte die Debatte über Armutsmigration "manchmal übermäßig emotional und verfehlt". Mit Blick auf die Empörung in Deutschland sprach er von "Mythen": "Leute glauben oder berichten manchmal fälschlicherweise, dass Brüssel darauf dränge, jedem vom ersten Tag an Sozialleistungen zu gewähren. Dies ist definitiv nicht der Fall." Der Ökonom betonte, dass die mehr als 14 Millionen EU-Bürger, die in einem anderen EU-Staat leben, insgesamt wesentlich mehr Steuern und Sozialabgaben bezahlten als sie an Leistungen bekämen.
Unterstützung bekam der Kommissar von der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Europa-Parlament, Rebecca Harms. "EU-Gesetze machen den Missbrauch von Sozialsystemen nicht einfacher, und Freizügigkeit muss für alle EU-Bürger gelten - egal aus welchem Land sie kommen." Bulgaren und Rumänen pauschal in die Ecke der Betrüger zu stellen, sei politisch unverantwortlich.

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