Letzte Rettung vor der Ehrenrunde

Matheformeln, Englischvokabeln oder deutsche Grammatik: Der Nachhilfemarkt in Deutschland boomt. Jeder achte Schüler paukt nach der Schule in Betreuung weiter - weil für die individuelle Förderung im Klassenzimmer meist keine Zeit bleibt.

Trier. Matthias beugt sich über sein Mathebuch. Er macht Hausaufgaben. Um ihn herum ist es still. Nur die Uhr tickt leise. Poster zieren die hellorangefarbenen Wände. Allerdings sind keine Stars auf ihnen zu sehen. "Les conjugaisons des verbes en -er" (Die Konjugation der Verben auf -er), das kleine Einmaleins und "Irregular verbs" (Unregelmäßige Verben) stehen auf ihnen. Matthias lernt nicht zu Hause, sondern in der Trierer Schülerhilfe. Er nimmt Nachhilfe in Mathe. Zweimal pro Woche.

"Ich bin vom Gymnasium auf die Realschule gewechselt. Mathe ging bei mir am Gymnasium drei Jahre lang nicht", erzählt der Zehntklässler. Im Nachhilfe-Institut arbeitet er fehlende Grundlagen auf und bespricht mit Ralf Harig, seinem Nachhilfelehrer, die aktuellen Themen und Probleme.

Während Matthias über Logarithmen grübelt, liest sich Pascal geometrische Aufgaben durch. Er besucht gemeinsam mit Matthias und zwei anderen Schülern den Kurs. Obwohl Pascal zu Beginn seiner schulischen Laufbahn sogar eine Klasse wegen Mathe überspringen durfte, büffelt er jetzt nach der Schule zusätzlich - und freiwillig. "Bei mir haben die Probleme in der neunten Klasse angefangen. Da konnte ich mich gerade auf eine vier retten", berichtet er. "Als meine Eltern mir sagten, ich solle in die Nachhilfe, wollte ich nicht. Aber seit diesem Schuljahr will ich es selbst auch." Seine Einsicht hat sogar die ersten Früchte getragen. In der letzten Arbeit habe er sich um zwei Noten verbessert.

Ralf Harig sieht diese Fortschritte natürlich gerne. Der studierte Mathematiker bringt den Jungen mit Ruhe und Geduld die abstrakten Rechenarten bei. Er ist beliebt bei seinen Schülern. Unbeschwert erzählen sie ihm ihre Erlebnisse des Tages, Probleme mit dem Lehrer, geben Schwächen zu, stellen wissbegierig Fragen.

Doch es sind nicht nur die Probleme mit der Mathematik, die den Schülern das Rechnen schwer machen. Vor allem die Lehrer und Unterrichtsmethoden sehen sie als Problem an. "Bei uns ist der Beste der Maßstab", sagt Pascal. Für individuelle Förderung sei keine Zeit. Entweder man versteht es, oder man bleibt auf der Strecke.

Probleme, die auch Nikola Baum kennt. Die Studentin gibt einer 15-Jährigen private Nachhilfe in Englisch. Sie hilft ihrer Schülerin bei den Hausaufgaben, beantwortet Fragen zu schwierigen Themen, versucht den Stoff zu vermitteln, der im Schulunterricht nicht verstanden wurde. Obschon in den Instituten auch Einzelunterricht angeboten wird, greifen viele Eltern - auch aus Kostengründen - auf private Nachhilfelehrer zurück. Lehrer wie Nikola, die zwölf Euro in der Stunde nimmt.

Auch wenn sich die Studentin mit dem Zusatzunterricht ein monatliches Zubrot verdient, sieht sie ihre Arbeit kritisch. "Eltern können ihr Kind nicht zur Nachhilfe schicken und denken alles ist ok." Vielmehr müssten die Kinder auch zu Hause gefördert werden, zum Beispiel durch gemeinsames Vokabeln lernen. Schließlich habe auch Nachhilfe ihre Grenzen. Das bestätigt auch Rénier Schanne, Leiter der Schülerhilfe Trier: "Wir geben den Schülern gezielt Hinweise, wie sie zu Hause ihr Lernen verbessern können."

Ralf Harig diskutiert mit Matthias und Pascal noch immer über Logarithmen und die Flächenberechnung eines Kreises. Vor allem gilt es, immer wieder Basiswissen aufzuarbeiten. "Die Grundlagen werden meist nicht beherrscht", erzählt er. Darin sieht auch Nikola Baum den Knackpunkt. Auch wenn Drill-Methoden zum Lernen verpönt seien, müsse doch eine gewisse Kontinuität im Lernen geschaffen werden, um das Wissen aufzubauen. Kontinuität, die im Schulalltag fehlt. Kontinuität, die in der Nachhilfe geschaffen wird. Mit einer einfachen Formel: üben, üben, üben. Nichts anderes machen Pascal und Matthias. Ihn bringen die Übungsaufgaben an diesem Nachmittag an seine Grenzen. Er brütet nach einer halben Stunde noch immer über Logarithmen. Pascal hingegen hat es geschafft, die Geometrieaufgaben zu rechnen - verstehen will er sie in der nächsten Stunde.

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