Manager oder Müllmann?

BERLIN. Der Bundeskanzler drückt auf das Tempo. Bereits am kommenden Mittwoch erwartet Gerhard Schröder von seinen Kabinettskollegen konkrete Zeitpläne, um die angekündigten sozialen Zumutungen in die Tat umzusetzen.

Wenn die Gesetze wie geplant zum 1. Januar 2004 in Kraft treten sollen, müssen die Entwürfe möglichst noch vor der Sommerpause vorliegen. Für die drastischen Einschnitte ist in erster Linie das Wirtschaftsministerium zuständig. Den Rahmen hatte Schröder in seiner Regierungserklärung vor einer Woche beschrieben und gestern noch einmal "Punkt für Punkt" bekräftigt: Danach soll die Bezugszeit des Arbeitslosengeldes von gegenwärtig bis zu 32 Monaten auf maximal 18 Monate begrenzt werden. Personen unter 55 können höchstens noch mit einer Bezugsdauer von einem Jahr rechnen. Zugleich will der Kanzler die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenfassen (Arbeitslosengeld II) und praktisch auf Sozialhilfeniveau drücken. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering versuchte den Eindruck zu vermitteln, dass sich für die Masse der Arbeitslosen überhaupt nichts ändern würde: So hätten im Jahr 2001 nur 20 Prozent aller Bezieher von Arbeitslosengeld diese Leistung länger als zwölf Monate in Anspruch genommen. Zumindest diesen Kreis dürfte es künftig um so härter treffen. Denn nach den Vorstellungen im Wirtschaftsministerium müssten die Betroffenen demnächst jedes Arbeitsangebot annehmen - auch wenn es noch so schlecht bezahlt wird. "Das ist die Konsequenz aus dem Kanzler-Plan, die Leute vom Arbeitslosengeld praktisch an die Sozialhilfe durchzureichen", sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende, Ursula Engelen-Kefer, unserer Zeitung. Wer ablehnt, bekommt Arbeitslosengeld gekürzt

SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler bestätigte dieses Vorhaben: Die künftige Arbeitslosenhilfe "sollte dafür sorgen, dass Arbeit, die bisher als unzumutbar abgelehnt wurde, künftig getan wird". Dabei sind die Zumutbarkeitskritierien schon heute ziemlich hart. Empfänger von Arbeitslosengeld müssen bereits nach sechs Monaten einen Job akzeptieren, dessen Bezahlung der Lohnersatzleistung entspricht. Arbeitslosenhilfe-Empfängern kann eine Tätigkeit mit Einkommenseinbußen von rund 50 Prozent gemessen am früheren Job zugemutet werden. Und Sozialhilfe-Empfänger sind schon jetzt zur Annahme jedes Jobs verpflichtet. Das gilt selbst für gemeinnützige Arbeit wie zum Beispiel die Pflege von städtischen Grünanlagen. Lehnen die Leistungsempfänger das Angebot ab, wird das Geld gekürzt oder sogar ganz gestrichen. Nach Angaben der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit waren im Vorjahr davon insgesamt mehr als 100 000 Personen betroffen. Engelen-Kefer hält es schon für "ökonomisch unsinnig", sollten die verschärften Zumutbarkeitsregelungen bei Sozialhilfe-Empfängern in Zukunft tatsächlich auf alle Bezieher von Arbeitslosengeld II übertragen werden. Ein Manager könnte sich dann nämlich glatt als Müllmann wieder finden. Unter dem Strich würden "gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch stärker in Billigjobs gezwungen und geringer Qualifizierte weiter verdrängt", kritisierte die DGB-Vize. Ihr Fazit: "Die Bundesregierung scheint bei ihren Plänen zum Umbau der Arbeitslosenversicherung jedes Augenmaß verloren zu haben." Teile der SPD sehen das genau so. "In der ganzen Diskussion ist nicht zu erkennen, wo da noch sozialdemokratisches Profil steckt", schimpft der Wortführer des Arbeitnehmerflügels, Ottmar Schreiner. Gegenüber unserer Zeitung erinnerte der saarländische Bundestagsabgeordnete daran, dass "ein Arbeitsloser über 55 heute Null Chance hat, einen Job zu finden". Deshalb gebe es zu den Vorhaben des Kanzlers "hoch emotionale Reaktionen in den Wahlkreisen". Vielleicht drängt Schröder deshalb so zur Eile.

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