Glaube im Alltag

,,Man braucht zwei Jahre, um sprechen zu lernen, und fünfzig, um schweigen zu lernen." Ein weiser Spruch des Schriftstellers Ernest Hemingway.

Es ist urmenschlich zu reden. Bei mir ist es auch an vielen Tagen der größte Teil meines Jobs. Und weil ich oft viel sprechen muss, wird mir mit den Jahren das Schweigen immer wichtiger. Als Gegengewicht zum Reden. Erholung heißt für mich dann den Mund halten, schweigen. Das war nicht immer so. Mittlerweile glaube ich: Die Balance macht es. Das Gleichgewicht zwischen Reden und Schweigen. Wie Einatmen und Ausatmen. Das Reden als Ausatmen, das Schweigen als Einatmen. Schweigen kann schön und erholsam sein, aber auch schrecklich quälend. Wenn jemand durch Schweigen oder Nichtbeachten gemobbt oder bestraft werden soll, das ist Psychoterror, den niemand verdient. Man kann auch schweigen aus Angst oder Verlegenheit. Oder wenn einem die Worte fehlen aus Trauer oder Schockiertheit, oder weil man so sehr verletzt worden ist. Eine der schönsten Arten zu schweigen ist das gemeinsame Schweigen. Wenn zwei Menschen so vertraut sind, dass sie nicht immer reden müssen, um sich zu verstehen. Wenn eine Verbundenheit gewachsen ist, die auch ohne Worte spürbar ist, durch Gesten, Blicke oder Berührungen. Und natürlich, das soll in einem religiösen Beitrag nicht fehlen: Schweigen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für religiöse Empfindungen. Um Ruhe in meine Seele zu bekommen. Um die schönen und schrecklichen Dinge meines Lebens absinken zu lassen und sie vor Gott zu legen, wie sie sind. Wie ich bin. Ohne Worte. Schweigend. Voll Trauer, Dankbarkeit oder Glück. Gott versteht mich ohne Worte. Ich wünsche uns allen ein schönes Maiwochenende. Und da, wo es möglich ist: Zeit zum Schweigen. Hilde Telkes, Gemeindereferentin in der Pfarreiengemeinschaft Neuerburg

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