Eisbrecher und Seelenentblößer: Karl Sibelius erklärt "Alles bleibt anders"

Trier · Mit einer gehörigen Portion Selbstironie hat der neue Theaterchef sich seinem Publikum vorgestellt: Als Schauspieler, Sänger, Komödiant und, ja, auch ein bisschen als Intendant.

 Ein Mann zieht Bilanz: Karl Sibelius im Ein-Personen-Stück „Alles bleibt anders“. TV-Foto: Friedemann Vetter

Ein Mann zieht Bilanz: Karl Sibelius im Ein-Personen-Stück „Alles bleibt anders“. TV-Foto: Friedemann Vetter

Foto: friedemann vetter (ve.), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"

Die Bühne, in kaltweißes Arbeitslicht getaucht, ist kein anheimelnder Ort: aufragende Scheinwerfertürme an den Seiten, Soffitten an der Decke, schwarze Stofflappen über den Köpfen, rumpelige Requisiten, Kabel, Schalter, Hebel, wuchtige Seilzüge, nachtschwarze Brandmauern.

Das ist der Arbeitsplatz von Adam Schaf, langgedientem Schauspieler, der vom allmählichen Abstieg von den Gipfeln erzählt, auf denen er applausumtost balancierte. Und jetzt ist er in Trier gelandet, ausgerechnet an jenem Ort, an den man nicht ungestraft geht, wie man spätestens seit Thomas Bernhards "Weltverbesserer" weiß. Auch ein Österreicher, genau wie Adam Schaf, Georg Kreisler, der ihn erfunden hat, und Karl Sibelius, der trotz aller Warnungen nach Trier gegangen ist und dort jetzt Theater macht.

Da kann man es schon mit der Angst zu tun bekommen, und "Adam Schaf hat Angst" heißt dann auch das Stück, das dem neuen Theaterchef auf den Leib geschneidert zu sein scheint. Aber ganz so ist es nicht: Karl Sibelius hat das Ein-Personen-Dramolett für sich passend genäht und nennt es philosophisch-verschmitzt "Alles bleibt anders."Letzte Rolle Leopold


Anton Schaf sitzt in seiner Garderobe, wartet auf seinen Auftritt als Leopold in der Touristenoperette "Im Weißen Rössl", und dort rechnet er nun ab: mit dem Theater, den Kollegen, dem Intendanten, dem Publikum und mit sich selbst. Das tut er auf der Seitenbühne, also dort, wo man den besten Blick auf die gesamte thea-tralische Unwirtlichkeit hat, und dafür setzt er seine Zuschauer quasi vor seine Garderobe, wo er am Schminktisch tabula rasa macht.
Und schon nach wenigen Minuten wird klar: Adam Schaf ist Karl Sibelius ist Adam Schaf. Einen besseren, witzigeren, auch anrührenderen Einstand hätte Adam Sibelius bzw. Karl Schaaf für seinen Trierer Einstand kaum wählen können. Schaf erzählt von Anfeindungen, mit denen sein alter ego Sibelius auch schon Bekanntschaft machen durfte, und Sibelius lässt sein zweites Ich lamentieren, wie schlecht alles geworden ist und wie gut alles war.

Zwischendurch erzählt Schaf - oder Sibelius? - von privaten Befindlichkeiten, die ans Intimste rühren: Sibelius - oder Schaf? - plaudert freimütig über seine Ochsentour durch die Provinz, die Entdeckung seiner Homosexualität, die hochgezogenen Augenbrauen und hämischen Bemerkungen nach seinem Coming out. Das tut er auf eine so nonchalante Weise, dass man keinen Augenblick lang das Gefühl hat, da biedert sich einer an oder barmt gar um Verständnis.

Den Humor weiß er genauso zu bedienen wie die Traurigkeit, das Burleske wie das Berührende. Er juxt mit dem Publikum, holt für einen Sonderapplaus seine Souffleuse auf die Bühne, die längst den Faden verloren hat, weil der Text für den Mimen nur noch ein unverbindlicher Vorschlag ist, und die Zuschauer müssen ebenso Seitenhiebe einstecken wie der ganze Theaterwahnsinn, dem sich Adam Sibelius mit Haut und Haaren verschrieben hat.

Passend zu allen Lebenslagen gibt's dazu Chansons von seinem Landsmann Georg Kreisler: bekannte und weniger bekannte Lieder vom Meister der literarisch-zynischen Gesellschaftssezierung, Reflexionen über die Mächtigen und den Machtmissbrauch, Ehe, Erotik und Enttäuschungen - und, als Sahnehäubchen zum Schluss, das wunderschön böse "Taubenvergiften".Ein perfekt eingespieltes Team


Wenn man bisher glaubte, Chansons von Kreisler könne nur Kreisler selbst singen: Sibelius kann's auch. Im Gegensatz zum Komponisten, der seine Kreationen mit unnachahmlicher Lakonie vortrug, lädt Sibelius die Texte allerdings theatralisch auf, spielt sie mit geschmeidiger und wandlungsfähiger Stimme: dreiminütige Dramen und Komödien, Witz und Tragik, auf den Punkt gebracht.

Unterstützt wird er dabei von dem russischen Pianisten Andrey Litvinenko, der den Kreisler'schen Kabarettton ziemlich gut in den Fingerspitzen hat. Die beiden sind ein perfekt eingespieltes Team; kaum zu glauben, dass sie erst zum zweiten Mal gemeinsam auf der Bühne stehen (die erste Vorstellung gab's als öffentliche Generalprobe in der Industrie- und Handelskammer, wo Sibelius sich bei einem Sprung vom Tisch prompt einen Zeh gebrochen hat).

Am Schluss der knapp pausenlosen 90 Minuten erhob sich das Publikum sofort applaudierend von den Stühlen: ein spontaner, aufrichtiger Dank und warmherziger Willkommensgruß an den Neuen. Manche Klischees können noch so abgedroschen sein, sie treffen einfach zu. Daher also: Wenn Karl Sibelius ein ebensolcher Vollblutintendant wie Vollblutschauspieler, -komödiant und -sänger ist, dann kann Trier sich auf ganz unbeckett'sche glückliche Tage gefasst machen.

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