Kindergeschichte(n)

Tante Alma war gestern im Theater. "Es war toll", schwärmt sie und fängt an, in ihrer Handtasche zu kramen.

"Ich muss euch unbedingt das Programmheft zeigen." Aber sie findet es nicht. "Das wäre ja schrecklich, wenn ich das Heft verloren hätte", jammert sie. "Wo ich die Hefte doch sammele, weil sie so interessant sind." Mama beruhigt sie: "Das findest du schon, trink erst mal Kaffee." Onkel Franz schaut über seine Brille: "Reg dich nicht auf, früher gab es überhaupt keine Programmhefte." Stimmt. Programmhefte, wie wir sie kennen, gibt es im Theater erst seit etwa 100 Jahren. Vorher gab es nur sogenannte Theaterzettel. Das waren Plakate, mit denen das Theater für seine Aufführungen warb. Darauf stand der Name des Stücks, das gespielt wurde, und wer es geschrieben hatte. Bei Opern wurde der Komponist angegeben. Außerdem wurden die Schauspieler und Sänger mit ihren Rollen aufgeführt. War ein Star darunter, wurde der wie heute auch besonders groß angekündigt. Natürlich stand auf den Plakaten auch, wann und wo das Stück gespielt wurde. Später wurden neben den Plakaten noch kleine Handzettel mit denselben Informationen für das Publikum gedruckt. Außerdem konnten Theaterbesucher Textbücher kaufen, in denen sie mitlesen konnten, was auf der Bühne gesprochen oder gesungen wurde. Das war besonders praktisch, wenn etwa eine Oper in einer fremden Sprache aufgeführt wurde. Inzwischen ist es im Theater im Zuschauerraum allerdings so dunkel, dass es kaum möglich ist, mitzulesen. Seitdem gibt es Programmhefte. Sie enthalten die Informationen der früheren Theaterzettel, außerdem Bilder von Szenen des Stücks und Artikel über seine Autoren und seine Entstehung. Der erste bekannte Theaterzettel ist 500 Jahre alt und stammt aus Rostock. Die Zettel und Programmhefte sind sehr wichtig für die Geschichte des Theaters. Man kann damit verfolgen, welche Stücke wann und wo gespielt wurden, welche Vorlieben die Leute hatten und wie sich Theaterstücke in ganz Europa verbreiteten. Theaterzettel und Programmhefte wurden auch schon immer gesammelt. Die Mutter des berühmten Dichters Johann Wolfgang von Goethe war zum Beispiel eine eifrige Sammlerin. Tanta Alma ist also in bester Gesellschaft. Eva-Maria Reuther

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