Mensch... Horst Köhler!

Wie naiv kann man eigentlich sein? Haben Sie wirklich geglaubt, man könne das höchste politische Amt im Staate einnehmen und gleichzeitig ein ganz normaler Mensch bleiben? Einer, der ehrlich seine Meinung sagt, Unangenehmes offen ausspricht, ab und zu einen Fehler macht, mal unsicher wirkt?

Ja sogar einer, der Wert darauf legt, dass ihm mit dem gleichen Anstand begegnet wird, den er anderen entgegenbringt?

Na sowas aber auch. Da haben Sie die Gesetze der Politik aber gründlich missverstanden. Ein Berufspolitiker - Ausnahmen bestätigen die Regel - kennt drei Grundprinzipien: erstens, die nächste Wahl zu gewinnen; zweitens, die nächste Wahl zu gewinnen; drittens, die nächste Wahl zu gewinnen. Dafür nimmt er in Kauf, seine Positionen bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln, die Wahrheit zu verbiegen und die Realität zu ignorieren. Dafür reduziert er seine Sprache auf ein inhaltsloses Kauderwelsch, das so flach ist, dass man es ihm nicht im Mund herumdrehen kann. Und selbst wenn er geprügelt wird: Er steht treu zur Parteifahne, bis der letzte Wähler vertrieben ist. Das hat er auf der Ochsentour vom Ortsvereinsplakatkleber zum Minister so gelernt.

Und dann kommen Sie, Herr Köhler, und machen das Spiel nicht mit. Dabei hätten Sie an Herrn Kirchhof und einigen anderen doch sehen können, wie man weggebissen wird, wenn man als Quereinsteiger unter die "Profis" fällt. Übrigens unter dem Beifall der gleichen Hauptstadtjournalisten, die immer jammern, es gebe nur noch stromlinienförmige Politiker, aber sofort jedem die Flossen abhacken, der ein bisschen zickzack schwimmt. Und die Ihr Interview einen Sch… interessiert hat, bis sich plötzlich die Chance ergab, einen richtig saftigen Skandal daraus zu stricken.

Nullbock-Horst-Lübke macht den Lafontaine, so klingt das jetzt in der Spiegeltazbildsüddeutschen. Von "Fahnenflucht" ist selbst bei seriösen Kommentatoren die Rede, wobei man gnädig auf die Forderung verzichtet, Sie als Deserteur standrechtlich zu erschießen.

Nur auf eine naheliegende Frage kommt keiner: Ob es nicht eher ein Problem unserer Politik ist, wenn "normale" Menschen dort nicht überleben können.

Dieter Lintz

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