Von Scheitern, Schein und Sein

Luxemburg · Die Story vom Untergang des Handlungsreisenden Willy Loman ist ein Klassiker der Moderne. Die Produktion des St. Pauli-Theaters mit Burkhart Klaußner in der Titelrolle erzählt Arthur Millers Geschichte im Luxemburger Grand Théâtre als schnörkelloses, hochkarätiges Schauspielertheater.

 Papa, der Aufschneider (Burkhart Klaußner) mit seinen Söhnen Happy (David Allers, links) und Biff (Christian Sengewald). Foto: Theater/Matthias Horn

Papa, der Aufschneider (Burkhart Klaußner) mit seinen Söhnen Happy (David Allers, links) und Biff (Christian Sengewald). Foto: Theater/Matthias Horn

Luxemburg. Auf dem Bühnenvorhang prangt ein riesiger, verfremdeter Dollarschein. George Washington schlägt sich darauf verzweifelt die Hände vors Gesicht, so als wolle er sagen: Mein Gott, was ist aus dem "American Dream" geworden? Aus diesem Glaubenssatz des Kapitalismus, nach dem es jeder schaffen kann, wenn er will. Hauptsache, er eckt nicht an, liefert das Gewünschte, ist überall beliebt, wie Willy Loman, der reisende Vertreter, nicht müde wird zu betonen.
Nix ist daraus geworden. Willy war nie so erfolgreich, wie er seiner Familie gegenüber vorgab. Und jetzt, jenseits der 60, wird er gnadenlos aussortiert. Obwohl er es nicht wahrhaben will. Aus seinen Hoffnungen auf die Sportskanone Biff, den älteren Sohn, ist auch nichts geworden. Für Happy, den Jüngeren, hat er sich ohnehin nie interessiert. Das klingt nach Sozialdrama, aber Regisseur Wilfried Minks liest Arthur Millers Stück nicht so politisch, wie man vermuten könnte. Und er sieht es auch nicht als Generationendrama mit einem übermächtigen Vater, der mit seinen Ansprüchen und Lügen seine Kinder erdrückt.
Der Willy Loman, den Burkhart Klaußner spielt, ist anders. Verzweifelt. Vielleicht eine Spur manisch-depressiv, mit extremen Sprüngen und Stimmungswechseln. Kein kraftvoller Bluffer, sondern einer, der sich heillos verheddert hat in seinen jämmerlichen Ausflüchten und Lügengebäuden. Der, wenn er sich erinnert, längst nicht mehr weiß, was Realität ist und was Fantasie.
Klaußner spielt das zurückgenommen, unaufdringlich, präzise, zuweilen fast zart. Und schafft so Sympathie für seine Figur. Wenn der Alte im Hintergrund umher- irrt, während Frau und Kinder über ihn verhandeln, leidet man mit. Diese Aufführung gehört ihm, sieht die Welt aus seinen Augen. Dass der Regisseur 84 Jahre alt ist, ist sicher kein Zufall.
Klaußners enorme Intensität verteilt die Gewichte neu. Für die Söhne (Christian Sengewald, als Biff etwas zu jung, und David Allers) bleibt wenig Spiel-Raum. Dafür trumpft Margarita Broich auf, als patente, den Laden halbwegs zusammenhaltende, ihren Versager-Mann rückhaltlos liebende Ehefrau und Mutter Linda. Sie gewinnt den Szenen einer Ehe sogar die eine oder andere lustige Komponente ab. Kein Opfer, wie in den meisten Interpretationen.
Handwerklich saubere Arbeit


Die Inszenierung ist handwerklich sauber gemacht, die Wechsel in Zeit und Raum gehen mit sparsamer Zeichensetzung verblüffend schnell und stets nachvollziehbar über die Bühne. Man hat der Produktion des St. Pauli-Theaters, für die Burkhart Klaußner den Theaterpreis "Faust" erhielt, nach der Hamburger Premiere vorgehalten, sie sei zu konventionell. Daran ist sicher wahr, dass Minks nicht auf Risiko setzt, so wenig wie auf eine (durchaus mögliche) Aktualisierung.
Aber Arthur Millers Stück trägt auch so, berührt, kommt dem Zuschauer nahe. Wenn sich Loman schließlich in der Erkenntnis umbringt, er sei aufgrund seiner Lebensversicherung tot mehr wert als lebendig, packt das die Zuschauer noch 65 Jahre nach der Uraufführung. Lebhafter Beifall.

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