Das "Julchen" ist eine echte Räubernachfahrin

HUNSRÜCK. (jst) Vor 200 Jahren, am 21. November 1803, endete der wohl bekannteste deutsche Räuber Johannes Bückler in Mainz auf dem Schafott. Dieses "Jubiläum" beschert auch der Schinderhannes-Bande, die seit 1996 für gute Zwecke ihr Unwesen treibt, einen regelrechten Boom. Die Gruppe um "Hauptmann" Rudolf Franz kann sich vor Anfragen kaum noch retten.

"Das ist ein Überfall, jetzt geht's euch dreckig", hallt es durch die Gassen des sonst so beschaulichen Moselörtchens Enkirch. Laute Pistolenschüsse, markiges Geschrei, und schon müssen die Gäste des "Churtrierischen Weinhofs" die Hände heben, Räuberbraut Julchen geht herum und sammelt die Handtaschen der Damen ein, während zwei anwesende Lokalpolitiker gefesselt und in eine "Halsgeige", eine Art Drahtschlinge, gesteckt werden. Mit Planwagen und Pferdegespann war die Schinderhannesbande bei ihrer traditionellen Jahresfahrt auf den Spuren des Räuberhauptmanns dieses Mal von Wirschweiler über Hinzerath, Hochscheid, Oberkleinich, Irmenach und Starkenburg bis an die Mosel gefahren.Historische Wahrheiten sollen nicht zukurz kommen

Seit 1996 gibt es die Bande, und schon im folgenden Jahr machte die Gruppe ihre erste Tour, deren Verlauf immer im Zusammenhang mit dem Leben und den Taten des wohl berühmtesten Hunsrückers stehen. Für ein Bandenmitglied hat die Fahrt in diesem Jahr eine besondere Bewandtnis: Das "Julchen", die Braut des Schinderhannes heißt im bürgerlichen Leben Stefanie Nagel und ist Bankangestellte. Und sie wandelt auch auf den Spuren ihrer Vorfahren. Sie ist eine Nachfahrin der gleichnamigen Starkenburger Wasenmeister-, Chirurgen- und Henkersfamilie Nagel. Und, wie sich jetzt bei Nachforschungen herausgestellt hat, ist in den Familien der Nagels und Bücklers immer mal wieder quergeheiratet worden - das Banden-"Julchen" stammt in direkter Linie vom Schinderhannes ab - wer sie einmal bei einem Überfall erlebt hat, zweifelt keinen Moment daran... "Was wir machen, ist ja nur Spaß für einen guten Zweck", meint sie zum berühmten Vorfahr. "Schinderhannes ist für mich kein Vorbild, er war ein brutaler Verbrecher und Mörder." Dafür, dass solche historischen Wahrheiten nicht zu kurz kommen, steht auch der Bandenchef Rudolf Franz. Er beschäftigt sich schon seit mehr als drei Jahrzehnten mit dem Leben des Räuberhauptmanns. 1970 hatte Franz einen Schmalfilm über den Räuber gemacht und schon damals für diesen Zweck alte Akten und Dokumente gewälzt. Den Film zeigte er zu zahlreichen Gelegenheiten in der gesamten weiteren Region. Und so kam auch im Jahr 1979 Fremdenverkehrsdirektor Udo Hartlieb auf Franz zu, um einen Schinderhannes-Planwagentreck nach Berlin zu organisieren, der die Region bundesweit bekannter machen sollte. Als Julchen zog Sylvia Buchholz mit, inzwischen Ehefrau vom Fernseh-Koch Johann Lafer aus Stromberg. Obwohl der Räuber-Treck viel Beachtung fand, schlief die Idee ein und wurde erst 1996 wieder zu neuem Leben erweckt, als sich jemand den Überfall als besonderes Geschenk für einen 60. Geburtstag ausgedacht hatte. Seitdem ist die Bande im Kern in der heutigen Besetzung beisammen, einige Räuberkinder sind inzwischen dazugekommen.Schinderhannesjahr bringt Geldsegen

Besonders erfreut ist man über den Zuwachs an Musikern. Denn so ist man inzwischen in der Lage, das "Schinderhannes-Lied" auch mit der entsprechenden musikalischen Begleitung zu singen. Bisweilen werden die "Opfer" mit Geschichten und Liedern einen ganzen Abend lang unterhalten. Gut 20 000 Euro hatte man bis zum Sommer 2002 auf diese Weise schon erbeutet und für kranke Kinder gespendet. Und das "Schinderhannes-Jahr" verspricht, weiteren Geldsegen zu bringen, denn die Bande kann sich vor Anfragen kaum retten, viele müssen abgelehnt werden, da alle "Räuber" auch einen zivilen Beruf haben. Immer stärker nutzen auch offizielle Stellen, wie etwa die Fremdenverkehrsbüros, die räuberischen Dienste der Bande. So war sie auch bei der Eröffnung der Ausstellung "Unrecht und Recht" in Wittlich, die durch Justizminister Herbert Mertin vorgenommen wurde, dabei (der TV berichtete). Im September macht sie beim Museumsfest in Bad Sobernheim und beim Herbsterlebnistag auf der Wildenburg mit, im Oktober wird für eine Fernsehsendung des MDR gedreht. Und am 21. November geht es natürlich nach Mainz, um dort mit Auftritten in der Fußgängerzone nicht nur Geld für die Kinderkrebshilfe zu sammeln, sondern auch, um an historischer Stelle den 200. Todestag des berühmten Räubers zünftig und deftig zu begehen.

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