...nächstes Jahr spricht er vielleicht

NIEDERKAIL. (peg) Ein Weihnachtsbaum im dritten Dienstjahr: Die Nordmanntanne, die Karl-Heinz Conrad im Jahr 2002 gekauft hat, will einfach ihre Nadeln nicht verlieren.

Ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum ist so etwas wie Pflicht in deutschen Wohnzimmern. Also laufen die Menschen jedes Jahr im Dezember los und kaufen sich den schönsten, den sie finden können. Ganz anders liegt der Fall bei Familie Conrad in Niederkail. Hier will die Nordmanntanne von 2002 auch im dritten Dienstjahr ihre Nadeln nicht verlieren. Inge Conrad weiß auch nicht, warum. Dieser Tage hat sie das treue Stück zum dritten Mal geschmückt. Das heißt, zum dritten Mal in ein weihnachtliches Gewand gesteckt. Denn auch durch die Osterzeit begleitet er das Ehepaar, dann natürlich geschmückt mit kunterbunten Ostereiern.Plötzlich wechselte sie die Farbe

Vor exakt zwei Jahren erwarb Karl-Heinz Conrad die Tanne bei einem Arbeitskollegen in Ürzig. 15 Euro habe er gekostet, erinnert er sich noch gut. Der Kauf entpuppte sich als äußerst effektive Investition. "Zuerst habe ich den Baum ein paar Tage lang windgeschützt auf die Terrasse gestellt", erzählt Inge Conrad. Langsam sollte er sich an die Wärme gewöhnen, die ihn im Wohnzimmer erwartete. Sechs Wochen lang stand er dann im vollen Weihnachtsornat an seinem wahrhaftig warmen Platz, gerade mal zwei Meter vom Ofen entfernt. Anstatt jedoch, wie seine Artgenossen, nach wenigen Tagen mit dem lästigen Nadeln zu beginnen, hielt er durch, und hielt durch, und hielt durch… "Ich hab es dann nicht übers Herz gebracht, ihn zu entsorgen", sagt Inge Conrad. Stattdessen brachte sie ihn zurück an seine windgeschützte Stelle auf der Terrasse, wo er zwar trocken blieb, alle Temperaturschwankungen jedoch mitmachen musste. Zu Ostern lebte der Baum immer noch. Also platzierten die Hausherren ihn wieder um: Zwar kam die Tanne nicht mehr ins Haus, die Conrads hielten jedoch direkten Blickkontakt aus dem Wohnzimmer hinaus auf das gute Stück. Inzwischen gehört die Tanne zum Inventar und wechselt, je nach Jahreszeit, ihren Standpunkt und ihren Schmuck. Im vergangenen Jahr schien es dann, als würde sie aufgeben. Plötzlich wechselte sie die Farbe: Die Nadeln wurden braun, fielen aber immer noch nicht ab, und so besprühte die sehr kreative Inge Conrad den Baum mit weißem Spray. Winterlich kommt er seitdem daher. Ein Gedicht hat sie ihm auch schon geschrieben. Mit Zeilen wie "... man kann es fühlen, es ist noch alles echt, war meine Natur bestimmt nicht schlecht...," drückt sie ihr Erstaunen über das lange Leben der Nordmanntanne aus, die es in ihrer Obhut immerhin schon auf zwei Jahre gebracht hat - ohne Wurzeln und ohne Wasser. Unter ihren Zweigen machen es sich längst die Katzen aus der Nachbarschaft gemütlich, und manchmal knabbert auch ein Marder an ihr herum. In ihrem Gedicht lässt Inge Conrad in das kleine biologische Wunder am Schluss selbst zu Wort kommen: "Als Eierbaum stand ich an gleicher Stelle - ich bin ein Baum für alle Fälle." Wer weiß, vielleicht fängt der Baum ja im nächsten Jahr sogar an zu sprechen. Zuzutrauen wäre es ihm.

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