Über gute Zeiten, schlechte Zeiten

WITTLICH. "Bohlen am Rathaus" war eine erste Adresse. Das Mode-Geschäft existiert nicht mehr. Die 80-jährige Edeltrud Bohlen meldet sich dennoch jetzt als Geschäftsfrau zu Wort und engagiert sich für eine Öffnung der Neustraße für den Verkehr.

Eine elegante Dame hat sich auf den Weg gemacht: Für die Stadträte und den Wittlicher Stadtmarketingverein hat sie ein Schreiben aufgesetzt und persönlich verteilt, denn ein Wittlicher Stadtgespräch treibt sie um: Die Diskussion um die Öffnung der Neustraße. Ihren Standpunkt teilte sie auch dem Bürgermeister bei der Einwohnerversammlung mit. Bis 1990 gab es das 1919 von ihren Eltern gegründete Geschäft "Bohlen am Rathaus". Schon ihre Mutter, "eine geniale, lebenskluge Frau", fuhr für jede Saison zu den Berliner Couturiers, um erstrangige Ware zu ordern und nicht "simple Lagerware", erinnert sie sich. "Das hat geschlaucht, aber auch Spaß gemacht", sagt die Frau, die eigentlich einmal Medizinerin werden wollte, dann allerdings die Textilfachschule besuchte, um anstelle des 1943 in Russland gefallenen Bruders Leo den elterlichen Betrieb mit zu führen: "Der Appetit kommt beim Essen", sagt sie und kommt auf die inhabergeführten Geschäfte zurück: "Es ist natürlich ein Unterschied, ob man selbst mit Haut und Haaren auf das Geschäft angewiesen ist. Das persönliche Engagement ist wichtig." Dass heute diese Generation nicht mehr die Geschäftswelt prägt, ist ihrer Ansicht nach aber nicht die Hauptursache dafür, dass Wittlich nicht mehr die Einkaufsstadt zwischen Trier und Koblenz ist. "In allen Lagen der Stadt florieren die Geschäfte unter einer Bedingung: Sie müssen per Auto erreichbar sein", ist ihre Überzeugung, und sie nennt das Beispiel Friedrichstraße: "Sie zeigt eindeutig, wie sich eine Wohnstraße in kurzer Zeit zur belebten Geschäftsstraße entwickelt, wenn der Verkehr nicht geknebelt wird." Deshalb kritisiert sie die Verkehrsführung: "Sie hält automatisch jedes auswärtige Auto von der Innenstadt fern." Man sehe sich als Auswärtiger "unversehens und ungewollt plötzlich außerhalb der Stadt, ohne auch nur ein einziges Einzelhandelsgeschäft gesehen zu haben".Eine Liste von Alf bis Zemmer

Wie wichtig Wittlich für auswärtige Kunden einmal war, belegt sie mit Zahlen. Sie hat Buch geführt über ihre frühere Kundschaft in einer langen Liste von A wie Alf über Bernkastel-Kues, Trier bis Zeltingen und Zemmer. Ihr Fazit: "Von 570 festen Kunden kamen 171 aus Wittlich und 399 aus entfernten Orten." Zum Vergleich sagt sie: "Heute soll der Umsatz in der Stadtmitte auf zwölf Prozent vom Ganzen gesunken sein." Deshalb fragt sie: "Hat die Schließung der Neustraße nicht das Gegenteil einer Bereicherung bewirkt? Sie ist zwar nicht die einzige Ursache für den geschäftlichen Rückgang in der Wittlicher Innenstadt. Sie ist aber der Punkt, der sich am leichtesten und für die Stadt kostengünstig ändern lässt und eine gute, wachsende Belebung nach sich ziehen kann." Außerdem sagt Edeltrud Bohlen: "Der Schließung der Burgstraße haben wir seinerzeit zugestimmt, doch die Blockierung der Neustraße wurde zu viel. Es sind sich alle einig, dass dort nichts mehr los ist. Deshalb muss man auch die Kunden fragen: ‚Wo kaufst Du ein?‘" Denn dass sich das Einkaufsverhalten geändert hat, ist ihr auch bewusst: "Früher hat unser Geschäft Prämien von Lodenfrey in München bekommen, weil wir im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Mäntel verkauft haben als München. Damals wussten auch Kundinnen mit kleinerem Geldbeutel: Wenn man Wert auf Qualität legt, das macht sich bezahlt. Sie sagten: ‚Wenn ich bei Ihnen einen Mantel kaufe, dann bin ich auch in zehn Jahren noch gut damit angezogen.‘"

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort