Ein mildes Urteil, viele offene Fragen

Trier · Ob eine 35-jährige Brasilianerin ihr Neugeborenes getötet hat, weiß niemand außer der Mutter selbst. Für das Trierer Landgericht steht aber fest: Sie wollte das Baby töten. Dafür wurde die Frau nun zu einer dreieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

 Eine Justizbedienstete löst der Angeklagten beim Prozessauftakt die Handschellen: Gestern ist die Frau wegen Totschlags verurteilt worden. Links im Bild Verteidigerin Martha Schwiering. Foto: TV-Archiv/Friedemann Vetter

Eine Justizbedienstete löst der Angeklagten beim Prozessauftakt die Handschellen: Gestern ist die Frau wegen Totschlags verurteilt worden. Links im Bild Verteidigerin Martha Schwiering. Foto: TV-Archiv/Friedemann Vetter

Trier. Rechtsanwältin Martha Schwiering hätte sich ihr Plädo-yer für eine möglichst milde Be-strafung ihrer Mandantin eigentlich sparen können. Denn den Job der Verteidigerin hatte Staatsanwalt Eric Samel in seinem vorangegangenen Plädoyer schon miterledigt. Und zwar so, dass man fast schon den Eindruck gewinnen konnte, da plädiere nicht der Ankläger, sondern sein Pendant.
Es war nicht das einzig Ungewöhnliche bei diesem Prozess gegen eine 35-jährige Frau aus Brasilien, die laut Anklageschrift ihr Neugeborenes vor vier Jahren kurz nach der Geburt erstickt und im Garten eines Hetzerather Hauses vergraben haben soll. Um zu einem Urteil zu kommen, brauchte das fünfköpfige Trierer Schwurgericht gerade einmal drei Verhandlungstage, wobei der erste schon nach zehn Minuten wieder beendet war. Sieht man von dem ermittelnden Kripobeamten und dem psychiatrischen Gutachter einmal ab, wurden in dem Totschlagsprozess keine weiteren Zeugen gehört. Nicht einmal der ehemalige Lebensgefährte der Angeklagten wurde geladen.
Dabei wäre das Verbrechen ohne den 76-Jährigen nie bekannt geworden. Der Mann ging vor drei Jahren in Spanien zur Polizei und zeigte seine Ex-Partnerin wegen der ein Jahr zurückliegenden Kindstötung an. Warum er das tat, blieb unklar - "vielleicht aus gekränktem Stolz", vermutet der Staatsanwalt.
Der Senior hatte die aus ärm sten Verhältnissen stammende Frau zwei Jahre zuvor in Brasilien kennengelernt und mit schönen Versprechungen nach Deutschland gelockt. Nach einer Odyssee durch mehrere europäische Länder brachte er die Frau schließlich in einem heruntergekommenen Haus am Ortsrand von Hetzerath (Kreis Bernkastel-Wittlich) unter. "Eine Bruchbude", sagt Staatsanwalt Eric Samel, "ohne Strom, Heizung und fließendes Wasser." Wollte die dort zeitweise von ihrem Lebensgefährten alleingelassene Frau etwas trinken oder sich waschen, musste sie Wasser aus der Regentonne schöpfen - bei Eiseskälte.
Auch das Kind gebar sie allein, obwohl der Lebensgefährte (er war nicht der Vater des Kindes) in jener Februarnacht 2007 im Haus war. "Sie war in einem desolaten Zustand und ohne ärztliche Versorgung", sagt Verteidigerin Martha Schwiering. "Der Mann hat Fernsehen geschaut, als sie um Hilfe rief."
Ob das kleine Mädchen lebend zur Welt kam oder bereits tot geboren wurde, wird nie geklärt werden. Der Grund, warum die Brasilianerin letztlich nur wegen versuchten Totschlags verurteilt wurde. Wegen der Ausnahmesituation, in der sich die Frau damals befand, bescheinigte ihr das Gericht zudem verminderte Schuldfähigkeit. Dreieinhalb Jahre Gefängnis, lautete am Ende das milde Urteil. Weil die Brasilianerin schon ein knappes Jahr in Haft ist, könnte sie schon nächstes Jahr zur Bewährung entlassen werden. Sie ist inzwischen mit einem anderen Mann in Spanien liiert, hat mit ihm einen dreijährigen Sohn, den sie seit Dezember nicht mehr gesehen hat.
Gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten ermittelt die Staatsanwaltschaft - unter anderem wegen Verdachts auf Menschenhandel. "Ob das aber zu etwas führt, ist fraglich", sagt Staatsanwalt Eric Samel. Die ganze Wahrheit werde in diesem Fall nie aufzuklären sein.
Das gilt auch für den Verbleib des angeblich nach Spanien gebrachten Babyleichnams: Er wurde nie gefunden.

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