Liberale trotzen dem Gegenwind

Dem Jubel über den Erfolg bei der Bundestagswahl und den Eintritt in die Regierung folgt Ernüchterung: Nach massiv gesunkenen Umfragewerten sucht die FDP-Führung den Dialog mit der Basis.

Berlin. Der liberale Glaubenssatz vom "einfachen, niedrigen und gerechten Steuersystem" ist erst einmal in der rhetorischen Versenkung verschwunden. Neuerdings spricht FDP-Chef Guido Westerwelle lieber von der "Stärkung der Familien" und einer "Politik für das Allgemeinwohl". So auch am Donnerstagabend vor mehreren Hundert Parteimitgliedern und Sympathisanten in der Berliner FDP-Zentrale. Die Veranstaltung bildet den Auftakt für einen breitangelegten Dialog mit der liberalen Basis. Allein in den kommenden zwei Wochen soll es 80 weitere Parteitreffen in der Provinz geben.

Wie einst bei Schröders Regionalkonferenzen ...



Das Ganze erinnert ein bisschen an die Turbulenzen der SPD, als die noch gemeinsam mit den Grünen regierte. Damals hatte sich Kanzler Gerhard Schröder auf zahlreichen Regionalkonferenzen ins Zeug gelegt, um der verstörten Anhängerschaft die Agenda 2010 schmackhaft zu machen. Auch die FDP hat derzeit viel Diskussionsbedarf. In den vergangenen Tagen und Wochen gingen einige Tausend Briefe, Mails und Anrufe in der FDP-Zentrale ein.

Die Basis sorgt sich um das Erscheinungsbild der Partei. Von stolzen 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl sind die Liberalen in einer aktuellen Umfrage auf acht Prozent abgestürzt. Nun sucht Westerwelle die Offensive. Für den morgigen Sonntag ist ein Krisentreffen der Parteispitze geplant. Vor zwei Tagen hat der FDP-Chef einen Brief an alle Mitglieder geschrieben. "Trotz aller Anfangsschwierigkeiten stimmen die ersten Ergebnisse", heißt es darin zur bisherigen Regierungsbilanz. Und weiter: Niemand könne erwarten, nach 100 Regierungstagen alles umzudrehen, "was in elf Jahren falsch gelaufen ist". Für einen "Politikwechsel" brauche es "Mut und Ausdauer", zumal die politische Konkurrenz "auch mit regelrechten Verleumdungen" operiere. "Der Gegenwind war absehbar".

Dieser Tenor bestimmt auch Westerwelles Rede am Donnerstagabend in der Parteizentrale. Das Ambiente ist bewusst nüchtern gehalten. Wo noch bis vor kurzem Sektstimmung herrschte, gibt es nicht einmal Selters. Die Zuhörer sollen Westerwelle pur erleben. Demonstrativ verteidigt der Parteichef die Steuersenkung für Hotelbesitzer, an der es auch in den eigenen Reihen erhebliche Zweifel gibt. Selbst die Linkspartei habe eine solche Forderung in ihrem Wahlprogramm gehabt.

Die Rede des Parteichefs kommt prächtig an



"Ich erwarte einen Orden von der Konkurrenz", höhnt Westerwelle. Das hebt die Stimmung im Saal. Auch die Absenkung der Erbschaftssteuer war nach seiner Darstellung ein unbedingtes Muss.

Den Vorwurf der Klientelpolitik will Westwelle aber keinesfalls gelten lassen. Bei all diesen Maßnahmen gehe es um "Mittelstandspolitik", hebt er beschwörend die Hände. "Wir sind ans Werk gegangen, wir ändern das", betont Westerwelle dann gleich mehrfach, um die ebenfalls beschlossene Kindergelderhöhung und die Anhebung des Schonvermögens zu preisen.

Sein Fazit: Die FDP habe in 100 Regierungstagen "mehr soziale Sensibilität gezeigt als die Genossen in den letzten elf Jahren".

Westerwelles Rede kommt bei der Basis prächtig an. Den Part der eher unangenehmen Botschaften übernimmt anschließend Fraktionschefin Birgit Homburger. Sie verweist auf die strikte Notwendigkeit zur Konsolidierung der Staatsfinanzen und erklärt unverblümt: "Das Sparbuch 2011 wird der Haushalt 2011 sein". Womöglich bläst den Liberalen der Gegenwind dann noch stärker ins Gesicht als jetzt.

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