Solidarität mit "Charlie Hebdo" - Gemeinschaftsaktion der deutschen Zeitungen

Berlin · „Lügenpresse“ - mit diesem Vorwurf sind die Medien in Deutschland vonseiten der Pegida-Bewegung konfrontiert. Und in Frankreich haben islamistische Terroristen beim Anschlag auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo zwölf Menschen ermordet. Für den Volksfreund und viele Zeitungen in Deutschland ist dies heute Anlass, in Standpunkt und Gastkommentar auf die Bedeutung der Presse- und Meinungsfreiheit hinzuweisen – die Grundlage unserer offenen Gesellschaft.



Standpunkt: Die falschen Feinde
Eine freie Gesellschaft beugt sich weder Fanatismus noch Vorurteilen

Von Chefredakteurin Isabell Funk

Nein, pauschale Ausländerhetze, die undifferenzierte Gleichsetzung von Religion und mordrünstigem Religionswahn ist nicht die Antwort auf das Massaker in Paris. Wenn es überhaupt eine Antwort gibt, dann diese: Eine freie Gesellschaft beugt sich weder blindem Fanatismus noch rassistischen Vorurteilen.

Dass der blutige Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo dennoch europaweit Ängste weckt, ist völlig normal. Terror und Hass - egal ob dem dschihadistischen oder anderen Milieus entsprungen - sind unberechenbar. Das Teuflische dabei ist, dass die Täter damit besonders jene treffen und dem Misstrauen breiter Bevölkerungsschichten aussetzen, deren Religion sie besudeln. In dieser Mischung aus Unsicherheit und Entsetzen, jenem Klima also, das die Attentäter bewusst herbeiführen wollten, wächst natürlich die Sehnsucht nach allumfassender Sicherheit. Eine Sehnsucht, die nicht zu erfüllen ist.

Aber hüten wir uns vor Hysterie und richten jenseits aller Emotionen, die uns in diesen Tagen bewegen, einen nüchternen Blick auf Deutschland.

Als Top-Exportnation profitiert die Bundesrepublik besonders stark von der Globalisierung. Offenheit und Kontakte mit und in alle(r) Welt sind für uns lebenswichtig. Während andere Teile der Erde in Krieg und Chaos versinken, leben wir in Frieden, Freiheit und Wohlstand - gemeinsam mit vier Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Nicht immer und überall konflikt- und diskriminierungsfrei, aber doch überwiegend bemüht, Spannungen auszugleichen.

Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland hat auch durch den Zuzug von Ausländern ein Rekordhoch erreicht, und die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass sich dieser Trend noch weiter fortsetzt. In den letzten sieben Jahren hat die Industrie 2,3 Millionen zusätzliche reguläre, also sozialversicherungspflichtige, Jobs geschaffen. Jugendliche in Deutschland finden anders als ihre Altersgenossen in Frankreich, Spanien oder dem EU-Wackelkandidaten Griechenland relativ problemlos Ausbildungsplätze. In der Region Trier ist das Angebot jetzt schon größer als die Nachfrage. Es geht uns gut hierzulande. So ganz von selbst kann das ja nicht gekommen sein. Bei aller gebotenen immerwährenden politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung, bei allen größeren und kleineren Ungerechtigkeiten, bei manchem persönlichen Unmut über politische Entscheidungen und deren Folgen sieht es doch so aus, als dass wir in den 25 Jahren nach der Wende gar nicht so schlecht regiert wurden.

In unserem wiedervereinigten Land dürfen selbst die ihre Meinung sagen, die gar nicht so genau wissen, was sie eigentlich wollen. Die beispielsweise in Dresden auf der Straße ,,Putin-hilf-uns"-Transparente vor sich hertragen, damit eine Abkehr von Demokratie und Selbstbestimmung fordern, gleichzeitig aber auf ihr demokratisch verbürgtes Demonstrationsrecht pochen. Die sich patriotische Europäer nennen und den Widersinn dieser Wortschöpfung offenbar nicht einmal begreifen. Was denn nun: vaterländisch oder europäisch? Die die etablierte Politik, dank derer sie maximale Freiheit genießen, als ,,Vaterlandsverräter" und die Medien pauschal als ,,Lügenpresse" verunglimpfen. Beide Begriffe entstammen originalgetreu dem Vokabular des nationalsozialistischen Verbrecherregimes. Die Flüchtlingen - Moslems wie Christen -, die gerade den islamistischen Schlächtern entkommen sind, das Grundrecht auf Asyl verweigern wollen, weil ausgerechnet jene Hilfesuchenden Deutschland ,,islamisieren" könnten.

Sie werden am Montag wieder demonstrieren, wahrscheinlich in noch größerer Zahl, weil sich auch die abscheulichste Tat noch instrumentalisieren lässt - demonstrieren gegen die falschen Feinde. Frei nach dem Motto, wo fremd draufsteht, ist Terror drin. So einfach kann man sich die komplizierte Welt zurechtschnitzen.
Und die Erde ist eine Scheibe.

Isabell Funk

i.funk@volksfreund.de

Gastkommentar: Wehren wir uns!

Von Helmut Heinen

Das abscheuliche Attentat von Paris war ein gezielter Anschlag auf das Satireblatt "Charlie Hebdo" und seine Mitarbeiter. Aber es war zugleich ein Anschlag auf die westliche Welt, auf die Grundlagen und Werte einer offenen Gesellschaft.

In herausragender Solidarität berichten freie Medien weltweit seit Tagen über dieses unmenschliche Verbrechen und die verquere Ideologie, die junge Muslime erst zu religiösen Fanatikern und dann zu Mördern macht. Der einhellige Appell: Presse- und Meinungsfreiheit sind unteilbar. Unsere Werkzeuge sind Worte und Bilder.

Satire, Tabubruch, auch Blasphemie muss unsere Gesellschaft aushalten. Sie gehören zum Dialog über streitige Themen, selbst wenn dies dem Einzelnen nicht gefällt. Die Medien und gerade auch die Zeitungen tragen durch Kommentare und Hintergrundberichte zur Reflexion über unsere zivilen Standards bei.

Sie sind, mit allen Fehlern und Schwächen, mit ihren Stärken und Vorzügen, eine Errungenschaft unserer Demokratie, die wir stets aufs Neue verteidigen müssen. Das zeigt nicht nur der Anschlag auf "Charlie Hebdo". Das zeigen auch Nazi-Schmierereien an den
Wänden deutscher Verlagshäuser oder das dumpfe Verunglimpfen der "Lügenpresse" durch die Pegida-Anhänger.

"Lügenpresse" - das ist ein Kampfbegriff aus Deutschlands dunkelster Vergangenheit. Perfide Propaganda der Pegida-Anführer, Ignoranz und unklare Ängste drohen hier, eine üble Allianz einzugehen. Sie versprechen einfache Antworten auf komplexe Fragen. In unserer globalisierten Welt gibt es diese einfachen Antworten nicht.

Wehren wir uns. Beharren wir, Zeitungen und Leser gemeinsam, auch weiterhin selbstbewusst auf der Pluralität der Meinungen und der Freiheit, sie zu äußern. Bieten wir so allen Eiferern die Stirn, die im Namen von Religionen oder Ideologien pöbeln, Angst verbreiten und am Ende sogar morden.

Helmut Heinen

Präsident BUNDESVERBAND DEUTSCHER ZEITUNGSVERLEGER

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