Der Tag des leeren Tellers "Den inneren Willen bändigen"

Bis zum 10. September feiern die Muslime den Fastenmonat Ramadan. TV-Redaktionsmitglied Patrick Wiermer begleitet den in Trier lebenden Tunesier Anis Briki (29) durch die islamischen Tages- und Gebetszeiten:Imsak, Fadschr, Zuhr, Asr, Maghrib und Ischa. Während sie vier Wochen lang Hunger und Durst verspüren, stärken die gläubigen Muslime die Bindung zu Familie, Freunden und Gott. Das sagt der Imam der Wittlicher Eyüp Sultan Moschee, Memet Yeni, im TV-Interview.

 Hungrig, aber zufrieden: TV-Redaktionsmitglied Patrick Wiermer und Anis Briki. TV-Foto: Patrick Wiermer

Hungrig, aber zufrieden: TV-Redaktionsmitglied Patrick Wiermer und Anis Briki. TV-Foto: Patrick Wiermer

Trier. (pwr) Imsak: Es ist 3.30 Uhr, eine halbe Stunde vor dem Morgengrauen: Mit Augenringen stehe ich am Herd, koche Reis und trinke in schlafloser Automatik ein Glas Wasser nach dem anderen. Das hat mir Anis empfohlen, um über diesen ersten Tag des Ramadan zu kommen. Meine letzte Mahlzeit bis zum Sonnenuntergang bekomme ich kaum runter, der Schweinebraten von gestern liegt mir noch im Magen. Es ist schon jetzt eine Prüfung - zumal die Tage des Ramadan besonders lang sind, jetzt im Hochsommer. Mit vollem Bauch gehe ich wieder ins Bett.

Zum Schlafen kommt Anis in dieser Nacht nicht: Er ist bei seiner Familie in Düsseldorf. Bis in die Nacht haben er und sein Vater lebhaft über Gott und die Welt diskutiert. Doch wie immer ist er zum Ramadanbeginn pünktlich: kochen, essen, beten - dann schlafen.

Fadschr: Vor Sonnenaufgang ist Anis schon wieder auf den Beinen. Er muss seine Schwester und ihren Mann zum Flughafen nach Frankfurt bringen. Ich verschlafe die ersten Sonnenstrahlen, gegen 8 Uhr rolle ich aus dem Bett.

Die Gewohnheit treibt mich in die Küche - doch Kaffee und Nutella-Brot sind tabu. Mein Magen merkt das nicht und grummelt auf dem Weg zum ersten Termin. Hart: Ich muss durch die Simeonstraße mit ihren Düften nach Gebackenem und Gebratenem - und nach Kaffee. Ich treffe mich zum Check bei meiner Hausärztin. Die Muslime halten Fasten für gesund, die Ärztin ist sich da nicht sicher. Vor allem das Nicht-Trinken macht ihr Sorgen, das Nicht-Essen beim Anblick meiner "ausreichenden körperlichen Reserven" eher nicht.

Zuhr: Anis ist im Stress. Seine Schwester und sein Schwager stehen gegen Mittag am Flughafenschalter: Wie so oft, wenn Nordafrikaner in die Heimat reisen, haben sie Übergepäck. Erst nach langen Diskussionen dürfen sie an Bord.

Das hat Spucke gekostet. Er hat Durst. Am Terminal riecht es außerdem nach Fastfood.

Auch an meinem Schreibtisch lauert die Versuchung: Aus der Kantine weht der Geruch von Frittiertem hoch. Das größte Problem ist jedoch der Durst: Er breitet sich pelzig in meinem Mund aus.

Als Gegenmittel soll man an diejenigen denken, die wirklich Hunger und Durst leiden, sagt Anis. Über die Nachrichtenagenturen laufen Meldungen aus Pakistan, wo Millionen von Menschen von einem Unwetter betroffen sind. Es klingt komisch, aber im normalen Nachrichtengeschäft hätte mich das nicht so berührt.

Asr: Gegen 16 Uhr meldet sich der Magen zurück. Der Kopf fühlt sich an wie Watte, leichte Müdigkeit - dazu die überfüllten Straßen in Trier. Der Stress begleitet mich zum Termin bei der Deutschen Post in Pfalzel. Vor Ort muss ich durchschnaufen, mache einen Spaziergang. Ich werde wach, der Appetit bleibt.

Und dann das: Das Treffen mit der Post ist ein "Schnittchentermin". Während die lokale Politprominenz genüsslich in die Salami beißt, versuche ich mich auf das Gespräch zu konzentrieren. Auch Anis muss in diesem Moment stark sein: In Trier angekommen, kauft er für das Fastenbrechen am Abend ein.

Maghrib: Noch eine Stunde bis Sonnenuntergang, der das Ende des Fastens bedeutet. Ich treffe mich mit Anis. Bei ihm zu Hause duftet es herrlich, nach orientalischen Gewürzen, Hühnchen, Kartoffeln - aus einem Laptop lautsprecher rauschen gesungene Koransuren. Mit den Kumpels Amin und Nazih und Bruder Mohammed hat Anis bereits das Essen vorbereitet, der Tisch ist reich gedeckt. Doch noch heißt es warten.

Die Stimmung schwankt zwischen müde, freundlich und gereizt. Mit Diskussionen schlagen sich die vier die Zeit tot: Wie betet man richtig und wie oft? Ob man während des Ramadan per Facebook chatten darf? Facebook ist wichtig für die Moslems: Man kann dort Ramadan-Fan werden, tauscht sich über Gebetszeiten aus.

Um 21.09 Uhr beginnt das Fastenbrechen traditionell mit einer Dattel und einem Glas Milch. Das gibt einem schon fast alle Nährstoffe des Tages zurück. Danach wird gegessen - schnell, aber nicht viel. Das Essen belebt, die Stimmung wird ausgelassener, zufriedener. Es entwickeln sich lebhafte Diskussionen über Gott, die Politik.

Ischa: Gegen 23 Uhr gehen Amin, Mohammed und Nazih schlafen - auch ich freue mich aufs Bett. Was bleibt: Der Verzicht schärft die Sinne für das Wesentliche und lässt Alltägliches wunderbar erscheinen. Doch diese Erfahrung ist auch für Muslime anstrengend. Anis wird sich wie immer daran gewöhnen. Ich bin erst mal froh, nicht wieder um 3.30 Uhr aufstehen zu müssen.

Wittlich/Trier. (pwr) Der Ramadan ist ein Fest auch für Andersgläubige, sagt Memet Yeni. Mit dem Imam sprach TV-Redaktionsmitglied Patrick Wiermer.

Was bedeutet der Ramadan für die Muslime?

Der Ramadan ist neben dem Glaubensbekenntnis, dem täglichen Gebet, den Almosen und der Pilgerfahrt nach Mekka eine der fünf Säulen des Islam, auf die sich jeder gläubige Moslem stützen muss. Im Ramadan stärken die Muslime im Gebet die Beziehung zu Gott und wachsen im gemeinsamen Lesen des Korans zusammen. Das Fasten bedeutet aber auch, den inneren Willen zu bändigen. Das gilt nicht nur für diesen einen Monat: Der Ramadan ist ein Training für das ganze Jahr, um sich so zu verhalten, wie man es sollte. Dadurch werden schädliche Dinge, wie Kriminalität oder Alkohol, automatisch verhindert.

Hat die Bedeutung des Ramadan in den letzten Jahren zugenommen?

Er wird von Jahr zu Jahr wichtiger. Die Menschen wollen in der heutigen schnellen und stressigen Zeit immer mehr das intensive Verhältnis zu Gott spüren. Daran arbeiten auch die Imame jedes Jahr mehr.

Was bedeutet der Verzicht noch?

Der Verzicht auf Nahrung und Wasser hilft, Menschen zu verstehen, die ständig Hunger leiden. Der Verzicht auf Luxus hilft zu verstehen, was Luxus bedeutet. Außerdem werden in dieser Zeit die Hilfsbedürftigen durch die Fitre unterstützt: Einem Bedürftigen soll dadurch einen Tag geholfen werden - in Deutschland macht man das, indem man zehn Euro spendet. Eine der fünf Säulen des Islam ist auch Zakat, die jährliche Armensteuer, die im Fastenmonat Ramadan gezahlt wird.

Den Armen zu helfen, ist sehr wichtig für uns Muslime. Der Wille dazu kommt in der religiösen Atmosphäre des Ramadan ganz von selbst.

Wie würden Sie das Verhältnis zu Gott im Ramadan beschreiben?

Wer sich an die Verbote hält, wer täglich betet und den Armen hilft, nachts vorm Morgengrauen aufsteht, um zu essen und sich auf den Tag vorzubereiten - der hat eine sehr intensive Beziehung zu Gott.

Sie sagen, dass die Muslime im Ramadan zusammenwachsen. Inwieweit passt das mit der Integration zusammen?

Wir feiern den Ramadan mit allen Menschen, die um uns herum leben. Wir laden auch andersgläubige Nachbarn, Familie und Verwandte ein, um gemeinsam zu essen. In einigen Städten gibt es spezielle Fastenzelte. Auch bei unserer Moschee in Wittlich gibt es ein solches Zelt. Alle sind dort herzlich willkommen. Es geht um das friedliche Miteinander, es geht um die Menschen.

Das Gespräch wurde von Ekrem Yildiz, Vorstandmitglied der Ditib Türkisch Islamischen Gemeinde zu Wittlich, übersetzt.

Zur Person Memet Yeni (47) stammt aus Kars im Nordosten der Türkei. Er ist seit vier Jahren als Imam in Wittlich tätig. Mittlerweile ist er auch Dialogbeauftragter der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) auf Landesebene. Die Ditib ist eine von vielen islamischen Dachverbänden in Deutschland und vertritt bundesweit rund 900 Gemeinden.

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