Schreibtisch mit Aussicht

Trier · Seit ziemlich genau zehn Jahren leitet Rudolf Hahn (60) das Bildungs- und Medienzentrum in Trier, zu dem die Volkshochschule, die Stadtbibliothek im Palais Walderdorff und die städtische Musikschule gehören. Der gebürtige Mettlacher verbindet mit der Stadt früheste Kindheitserinnerungen. Wenn er in seinem Büro sitzt, sind sie nur einen Blick entfernt.

Trier. Meine erste bewusste Kindheitserinnerung an Trier ist der Domstein. Dieser Stein hat sich fest in meine Erinnerung eingebrannt. Ich bin in Mettlach an der Saar aufgewachsen, und meine Großmutter, die aus Wasserliesch an der Mosel stammte, hat mich häufig mit nach Trier genommen. Meistens dann, wenn etwas Größeres eingekauft werden musste - mein Kommunionsanzug zum Beispiel, der musste aus Trier sein. Jedenfalls haben wir dann auch immer am Domstein haltgemacht. Ich weiß noch, dass ich als Kind auf dem Stein herumgerutscht bin. Dazu hat meine Großmutter das bekannte Gedicht "Am Domstein" rezitiert: Om Duhmstaan sei mer romgerutscht, et war net emmer ginstig. De Box zeriss, de Kaap verlohr, de Kopp zerschonn, blutrinstig - und so weiter. Das hat sie aufgesagt, jedes Mal.
Aus meinem Büro im Palais Walderdorff kann ich heute auf den Domfreihof schauen und den Domstein sehen. So oft ich möchte. Deshalb ist mein Büro auch mein Lieblingsort in Trier. Ich bin nur einen Blick von meinen Kindheitserinnerungen entfernt, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze - wer hat das schon? Dazu kommt: Der Domfreihof ist ohnehin einer der schönsten Plätze in Trier. Mich fasziniert die Westfassade des Doms immer wieder. Mit ihrer klar strukturierten romanischen Bauweise strahlt die Kirche eine unglaubliche Ruhe aus. Und die Atmosphäre auf dem Domplatz ist gerade an Sommerabenden besonders schön, wenn die Menschen draußen an den Cafés sitzen und andere zwischen den Bäumen Boule spielen. Ich kann dann immer das Klacken der Kugeln hören, wenn ich das Fenster geöffnet habe.
Gerade nach langen Arbeitstagen mit anstrengenden Terminen, Telefonaten und Mails ist die Erholung gleich vor meiner Nase. Zwei Minuten Rausgucken reichen schon aus, damit ich wieder ausgeglichen bin. Mein großes Glück ist, dass ich sehr schnell abschalten kann. Es gibt nur selten Probleme, die ich mit mir nach Hause trage.
Es ist mir wichtig, dass ich mich in meinem Büro wohlfühle. Das gilt auch für andere Bereiche meines Lebens: die Umgebung, also die geografische und auch die menschliche Umgebung, bedeutet mir viel. Das muss stimmen. Ich hatte ein paar Angebote, in Großstädten zu arbeiten, habe aber keines davon angenommen. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich dort nicht das Umfeld finde, in dem ich mich wohlfühle.
Das Wohlfühlen ist für mich ganz wichtig: Ich bin ja auch ein bekennender Genussmensch! Das Wohlfühlen beginnt im Beruf, der nimmt einen großen Teil meiner Lebenszeit ein. Wenn jemand in sich ruht, geht er ganz anders an seine Pflichten heran. Ich lasse auch gerne mal ein gutes Gespräch weiterlaufen oder nehme mir einfach Zeit zum Nachdenken - auch wenn das bedeutet, dass ich dafür hinterher länger arbeiten muss, bis alles erledigt ist. Für andere ist das dann Stress, ich lasse mich aber gerne auf so etwas ein.
Das Umfeld muss stimmen


Dazu kommt das Wohlfühlen in meinem privaten Umfeld. Die Region Trier bietet ja einige optische Genüsse, die Flusslandschaft zum Beispiel oder die Weinberge. Manche Menschen müssen hin und wieder weit weg reisen, um zu sich zu finden und Ausgleich zu suchen. Das muss ich nicht unbedingt, das geht auch in Trier und Umgebung. Hier fühle ich mich wohl, das ist ja auch meine Heimat.
Heimat - über den Begriff habe ich Zeit meines Lebens immer wieder nachgedacht. Ich bin aus einer Generation - Stichwort 68er -, die mit Begriffen wie Heimat und Nation Probleme hatte, weil sie als konservativ galten. Davon wollte man nichts wissen. Dann kam ich zum Studium nach Frankreich, dort ist der Heimatbegriff sehr positiv besetzt. Ich habe einige Jahre gebraucht, um ein klares Verhältnis dazu zu finden. Für mich ist Heimat heute sehr wichtig. Dabei beschränkt sich das nicht nur auf die Stadt Trier, in der ich arbeite, oder auf meine Geburtsstadt Mettlach. Ich sehe vielmehr die gesamte Großregion als meine Heimat, einschließlich Luxemburg und Lothringen. Gerade an Frankreich habe ich noch viele Kindheitserinnerungen. Mein Vater war Lastwagenfahrer und fuhr zweimal pro Woche von Mettlach nach Paris, um dort Porzellan und Keramik abzuliefern. Oft nahm er mich mit, und wir fuhren gemeinsam auf dem Bock durch Frankreich und wieder zurück. Das spielt eine Rolle bei meiner regionalen Verwurzelung.
Spaß am Beruf, ein harmonisches Umfeld - all das macht für mich Glück aus. Natürlich möchte ich glücklich sein. Aber das geht nicht alleine, man muss andere einbeziehen. Das Umfeld muss stimmen. Und das stimmt für mich jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster sehe. Der Dom, der Domstein - dann bin ich zu Hause. Und glücklich.

Aufgezeichnet von Kim-Björn Becker

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