Traumhafter Schleudersitz

Roland Seitz ist ein Wiederholungstäter: Bereits zum zweiten Mal während seiner Trainerkarriere coacht er die Eintracht Trier. Der 47-jährige Bayer erzählt in unserer Serie, warum der Trainerstuhl sein Traumplatz ist, wie er den Spagat zwischen zwei Zuhause schafft und was er an Trier reizvoll findet.



Meine Kindheit war hundertprozentig glücklich: Nach der Schule flog der Ranzen in die Ecke, dann rannten wir zum Kicken auf den Bolzplatz. Erst wurden die Mannschaften gewählt, dann als Tormarkierung zwei Äste aufgestellt oder zwei Jacken hingelegt. Mit fünf wusste ich; "Ich will Fußballprofi werden!" Wir lebten damals in Neumarkt in der Oberpfalz in Bayern mit dem 1. FC Nürnberg direkt vor der Haustür. Ich war nie Fan einer bestimmten Mannschaft oder eines Spielers. Sympathisch waren mir die Profis Gerd Müller oder Klaus Fischer. Die Sportschau war samstags ein Muss - das tägliche Spielen Leidenschaft.
Nach der Hauptschule, meiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann im Heizung- und Sanitärbereich sowie der Bundeswehrzeit wurde mein Jungentraum wahr: Ich stürmte unter anderem in der ersten Liga beim MSV Duisburg.
1995 schloss sich der Kreis: Ich kehrte zurück in meine Heimatstadt und wurde Spielertrainer beim ASV Neumarkt. Darüber, Chef einer Elf zu werden, hatte ich mit 28 oft nachgedacht. Ich ertappte mich immer wieder bei Überlegungen wie "Was hätte ich in dieser Situation gemacht?" Der Trainerstuhl ist mein Traumplatz - bis auf die 90 Spielminuten. Der blaue Stuhl hat für mich nur Symbolcharakter, denn dort zu sitzen, ist mir dann unmöglich. Wenn die Eintracht spielt, heißt das für mich: höchste Konzentration, Erfolgsdruck, etliche Adrenalinschübe, ein Auf und Ab an Freude und Ärger. Hinterher bin ich platt. Hinzu kommt: Mein Lieblingsplatz ist ein Schleudersitz. Was zählt, sind Siege, da ist es egal, wie die Mannschaft gespielt hat. Die Tabelle entscheidet am Ende, ob deine Arbeit top oder flop ist! Daran hängt meine Existenz und Zukunft.
Insgesamt zehn verschiedene Vereine habe ich bislang trainiert, in Trier bin ich zum zweiten Mal. Bereits 2006 war ich für drei Monate an der Mosel. Auch ohne meine Familie. Meine Frau hatte Mitte der 90er Jahre entschieden, in Neumarkt sesshaft zu werden. Vor allem weil wir unsere drei Söhne (22/19/16) nicht ständig aus ihrer vertrauten Umgebung herausreißen wollten. Kinder sollen wissen, wo sie hingehören. Seitdem pendele ich.
Seit vergangenem Jahr zwischen dem Trierer Stadion, meiner Wohnung in Sirzenich und meinem Zuhause in unserem Einfamilienhaus in meiner gemütlichen Heimatstadt mit den etwa 45 000 Einwohnern. Trier mochte ich von Anfang an, da war Wärme und es war eben nicht zu groß. Nur wenn die Leute hier Platt schwätzen, habe ich keine Chance. Wenn ich "Servus" sagte, entgegnete man mir oft mit "daj e". "Daje?", fragte ich irritiert. Mittlerweile weiß ich, dass es soviel wie "also los" bedeutet. Ich mag das Wort. Aber es gibt auch einige Gemeinsamkeiten zwischen den Neimoarktern, wie man bei uns sagt, und den Trierern - beide feiern gern. Wobei ich die kleinen Bier- und Weingläser in Trier für gefährlich halte. Schwupp, sind sie leer!
Da bietet der Maßkrug doch einen ganz anderen Überblick. Im Sommer besuche ich gerne mal einen Biergarten. Obwohl ich den Kornmarkt sehr schön finde, mache ich lieber einen Bogen darum, denn da treffen sich auch einige Spieler. Ich möchte ihnen nicht das Gefühl geben, sie kontrollieren zu wollen. Als Trainer ist man auch eher Einzelkämpfer. Es kommt mir entgegen, da ich auch gerne meine Ruhe habe. Nach dem Training genieße ich es, einfach nur auf meiner roten Coach in Sirzenich zu entspannen. Die freien Tage verbringe ich immer bei der Familie in Bayern. Aber meine Frau und die Kinder besuchen mich auch regelmäßig hier. Übrigens: Meine Jungs sind alle Fußballer. Meine Frau schätzt besonders die Lebendigkeit Triers, ich die Überschaubarkeit und die Mosel.
Ich genieße das Joggen am Fluss, am Wasser herrscht Urlaubsflair. Ich habe ein Ziel für Trier vor Augen: Die Stadt soll wieder Fußballstadt werden mit Fernsehkameras am Spielfeldrand. In der dritten Liga, da geht der Fußball erst richtig los! Der erste Schritt für die Eintracht raus aus dem Niemandsland ist, oben dranzubleiben. Dafür setzte ich mich ein, denn Fußball ist mein Leben - auf dem Trainerstuhl bin ich beruflich zu Hause.
Aufgezeichnet
von Katja Bernardy

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