Abschied vom Mythos Gold

Vom Krügerrand bis zum Familienschmuck - traditionell gilt Gold als beständige Geldanlage. Doch die jüngsten Einbrüche zeigen: Auch das Edelmetall kann Verluste bescheren. Warum also nicht jetzt verkaufen? Immerhin bringt die Feinunze heute noch 700 Euro mehr als Anfang 2001.

Wenn türkische Frauen heiraten, schenken Verwandte und Freunde Gold. Traditionell sollen die Armreifen und Halsketten, mit denen die Braut geschmückt wird, ihr materielle Sicherheit in Notsituationen bieten. Denn Gold ist beständig. Heute jedoch werden die gelb schimmernden Geschenke oft schnell zu Geld gemacht.
Paradoxe Beziehung


Die türkische Tradition und der moderne Umgang mit der goldenen Notreserve demonstrieren die paradoxe Beziehung, die auch viele deutsche Anleger mit dem gelben Edelmetall verbindet: Einerseits glauben sie an Gold als sichere Geldanlage und investieren einen Teil ihres Vermögens in Barren, Münzen und Anteile an Gold-Fonds. Umso mehr, je anschaulicher Finanzexperten Szenarien einer drohenden Hyper-Inflation heraufbeschwören. Andererseits geben die Privatanleger ihre Fondsanteile zurück, tragen Barren und Münzen flugs zum nächsten Gold ankäufer, kaum dass der Börsenkurs ins Rutschen kommt. Beständigkeit?
"Gold ist börsennotiert und damit schwankt der Preis", sagt Fabio Capitano, Mitarbeiter des Leihhauses "Goldankauf Wiesbaden". In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Edelmetall nicht von Aktien oder anderen börsennotierten Papieren. Welche Reaktionen Kursschwankungen auslösen können, hat Capitano gerade erst erlebt. "Als der Goldpreis im April und im Juni einbrach, hatten wir viele Kunden, die verängstigt fragten, ob sie sofort verkaufen sollten", berichtet er. Ob der Zeitpunkt für einen Verkauf jetzt aber wirklich gekommen sei, könne er auch nicht sagen.
Um dies zu beurteilen, lohnt es sich, die Ursachen der Crashs in den Monaten April und Juni zu beleuchten. "Es gibt schon seit einigen Jahren große börsengehandelte Gold-Fonds", erklärt der Düsseldorfer Börsenexperte Peter Martin. Diese Exchange Traded Funds, kurz ETF, decken sich mit Gold im Wert der ausgereichten Fondsanteile ein. Geben Inhaber von Fondsanteilen diese zurück, werfen die Fonds sofort so viel Gold auf den Markt, wie die Anteile wert sind.
"Das kann plötzlich kommen und sehr schnell gehen", sagt Martin. Genau das ist im April am wichtigsten Handelsplatz für Gold, der New Yorker Future-Börse Comex, passiert. Die Folge: Der Goldkurs rutschte in wenigen Tagen von fast 1600 US-Dollar je Feinunze auf unter 1350 US-Dollar ab. Einen stichhaltigen Grund für diesen Absturz konnten Kapitalmarktexperten nicht ausmachen. Ein punktueller Einbruch ohne klare Ursache also. Der Goldkurs erholte sich bald und lag zehn Tage später wieder über 1450 US-Dollar.
"Auch der zweite Kursrutsch am 21. Juni war durch spekulative Schwankungen verursacht", sagt Martin. An diesem Tag sackte der Goldpreis um etwa fünf Prozent auf 1271 US-Dollar ab und büßte seit seinem Höchststand vom August 2011 satte 33 Prozent ein. "Wenn man bedenkt, dass der Kurs zwischen Anfang 2001 und August 2011 um 656 Prozent zugelegt hat, ist das allerdings eine ganz normale Korrektur", erklärt Martin.
"Alles gut", mag sich nun der verunsicherte Gold-Anleger denken. Ganz so harmlos ist die Lage aber nicht. Fest steht, dass das gelbe Edelmetall seit dem jüngsten Einbruch das April-Niveau von 1350 US-Dollar nicht mehr erreicht hat und von seinem Höchststand bei 1900 US-Dollar weit entfernt ist. Das zeigt: Die Fonds investieren nicht mehr in Gold. Außerdem: Die Schmuckindustrie - einer der größten Goldkäufer am Markt - verzeichnet keine Knappheit. Gründe für eine Trend-Umkehr sehen Börsen-Experten daher momentan nicht.

Gold ist beständig. Als Ehering, der an eine dauerhafte Liebe erinnert. Aber nicht als Geldanlage. Von diesem Mythos sollten sich Anleger verabschieden - in der Türkei und in Deutschland.

Extra

Geld wird gedruckt, Gold ist rar. Annahme: Die Notenbanken fluten die Märkte seit dem Beginn der Finanzkrise mit Geld, um eine Stagnation der Wirtschaft in den USA und im Euro-Raum zu verhindern. Gold hingegen ist knapp, denn es wird als Geldanlage und in der Industrie benötigt. Neue Bestände können nicht so leicht gefördert werden. Stimmt nicht: Berechnungen anhand der Zahlen des World Gold Councils, der Interessenvertretung der Goldbranche, und der Europäischen Zentralbank zeigen: Seit dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers im September 2008 ist die Geldmenge im Euro-Raum um 6,4 Prozent gestiegen. Die weltweite Goldmenge um 7,7 Prozent. anm

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