Schlechte Zeiten für gute Leitbilder

TRIER. Kinder und Erwachsene werden heute von einer nie dagewesenen Flut an Informationen, Fakten und Waren überschwemmt. Um sich in der heutigen Zeit zurechtzufinden ist es wichtig, Kindern feste Werte mitzugeben, über die sie inneren Halt finden, den sie zum Leben und für eine positive Entwicklung brauchen.

Die Welt verändert sich sehr schnell und nicht immer nur zum Positiven. Viele Bereiche werden durch Respekt- und Regellosigkeit bestimmt. Und die Täter, so heißt es, werden immer jünger. Böse Zeiten für das Gute. Nicht wenige Kinder und Jugendliche, so scheint es, haben keine Werte mehr, wissen oft nicht, was sich gehört. Aber woher sollen sie dies auch wissen, wenn die eigenen Eltern, die eigene Familie, es ihnen nicht vorlebt? Nicht einmal die Lehrer? Für die Zunahme von Gewalt und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen gibt es vor allem zwei Hauptursachen: das Fehlen von gesellschaftlich akzeptierten Leitbildern und der Funktionsverlust von Familien. Kinder brauchen für ihre Entwicklung Vorbilder, Idole. Das ist ganz wichtig. Ich will so sein wie der. Oder genau das Gegenteil. Beides ist gut. Da es seit langem aber keine Vorbilder mehr gibt, denen große Teile und vor allem Kinder und Jugendliche nacheifern, sind die Kinder gezwungen, sich ihre eigenen Orientierungsmuster zu suchen. Somit gibt es heute viele tausend verschiedene Leitbilder, die aber nichts mehr miteinander zu tun haben. Handys, Markenklamotten, Umfeld - keiner hat mehr einen Überblick. Und auf der anderen Seite haben Familien in den letzten Jahrzehnten ihre eigentliche Funktion verloren. Im Mittelpunkt von Familien sollten die Kinder stehen. Sonst nichts. Da die Kinder aber zunehmend durch Karriere, Machtbedürfnisse und/oder Geldwünsche der Eltern an den Rand der Familie gedrängt werden, werden sie oft nur emotional missbraucht und missachtet. Die Folge: Kinder und Jugendliche fühlen sich ohnmächtig. Ohnmacht bewirkt Angst und Unsicherheit und die wird am besten durch Aggression ersetzt. Gewalt und Aggression verwandeln das Gefühl von Ohnmacht in ein kurzzeitiges Erleben von Allmacht. Ich bin wer! Ich habe Macht! Ich habe Kontrolle, die ich sonst in meinem Leben nicht habe! Kinder und Jugendliche sind nichts anderes als Symptomträger, das heißt, sie bilden unmittelbar ihre erlebten Gefühlslandschaften ab und zwar durch ihr Verhalten. Wenn Kinder aggressiv werden oder verstummen, haben sie oft große Angst und fühlen sich ohnmächtig. Um Kinder zu starken Persönlichkeiten zu erziehen, brauchen sie vor allem und zu allererst gute Vorbilder in der Familie. Und das sind nun mal die Eltern. Die sollten bemüht sein, die Stärken ihrer Kinder zu stärken und ihnen dabei helfen, möglichst Vieles alleine zu tun. Die wichtigsten Werte, die Kinder für eine stabile Persönlichkeit benötigen und die Eltern ihnen im Alltag vermitteln sollten, sind: Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Ernsthaftigkeit, Hilfsbereitschaft, Höflichkeit, Respekt, Mut, Selbstbeherrschung, Wertschätzung, Dankbarkeit, Verantwortungsbewusstsein, Friedfertigkeit und die Fähigkeit, an etwas zu Glauben. Christian Lüdke (44) ist Kinder- und Jugendpsychotherapeut in Köln ( www.christianluedke.de).

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